Wie schnell Österreich unabhängig von Erdgas werden kann
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Österreich hat seit vielen Jahrzehnten auf eine sichere Erdgasversorgung aus Russland gesetzt. Das Gas ist einer der wichtigsten Energieträger. Die Invasion in der Ukraine und die darauf folgenden Sanktionen haben aber gezeigt, dass man die Abhängigkeit von Erdgas nicht nur aus Klimaschutzgründen schleunigst beenden sollte. In vielen Bereichen ist ein Wechsel zu anderen Energieträgern möglich, es gibt aber auch große Hürden. "Die heimische Gasinfrastruktur wurde in mehr als 50 Jahren aufgebaut. So etwas bringt man nicht von heute auf morgen weg", meint Franz Angerer, Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur.
Hitze für die Industrie
Erdgas wird in hunderttausenden Wohnungen und Häusern zum Heizen und zur Warmwasseraufbereitung verwendet. Auf Haushalte entfallen 30 Prozent des Erdgasverbrauchs. Mit 57 Prozent den bei weitem größten Anteil am Verbrauch hat die Industrie. Dort benötigt man das Gas vor allem für Prozesswärme, etwa zum Trocknen von Papier oder in der Stahl- und Glaserzeugung.
"Abgesehen vom CO2-Ausstoß ist Gas eigentlich ein exzellenter Energieträger. Es verbrennt relativ sauber, erzeugt kaum Feinstaub. Gasbrenner sind sehr einfach und im Einsatz verlässlich", meint Simon Moser vom Energieinstitut an der Universität Linz. Er forscht an der Elektrifizierung der Industrie, die "viele Gesichter" habe. Um Wärme zu erzeugen, könne man etwa Hochtemperaturwärmepumpen verwenden, die nach und nach auf den Markt kommen.
Grüner Wasserstoff aus dem Ausland
Bestimmte thermische Prozesse sind auch durch mechanische Prozesse ersetzbar, manchmal könne man auch Mikrowellentechnologie nutzen. In anderen Fällen könne man Strom direkt in Dampf umwandeln, ähnlich wie in einem Wasserkocher. Schwieriger werde es etwa bei der Stahlerzeugung, wo das Gas auch für die stofflichen Vorgänge wichtig ist. "Hier kann man indirekt elektrifizieren, also etwa mit grünem Wasserstoff", sagt Moser.
Um Wasserstoff aus der Elektrolyse von Wasser mittels Solar- oder Windenergie zu gewinnen oder Strom vermehrt direkt in der Industrie anzuwenden, bedarf es eines massiven Ausbaus von erneuerbaren Energien. Wie schnell man von Erdgas loskommt, hänge direkt davon ab, es sei denn, man importiert Alternativen von anderswo. Grüner Wasserstoff soll künftig etwa vermehrt in Gebieten mit starker Sonneneinstrahlung oder stabilem kräftigen Wind erzeugt werden.
Vorhandenes Potenzial im Land
"Völlig autark zu sein, ist nicht unser Ziel. Im Energiebereich werden wir weiterhin internationale Beziehungen haben. Aber ein hoher Grad an heimischer Versorgung ist wichtig und die Unabhängigkeit von instabilen Regionen", sagt Martina Prechtl-Grundnig, Geschäftsführerin des Verbands Erneuerbare Energie Österreich. Potenziale, Erdgas in gewissem Umfang durch heimische Alternativen zu ersetzen, gebe es genügend.
Bei Biogas gebe es etwa die Möglichkeit, die Produktion aus rein organischen Abfällen so anzukurbeln, dass man bis 2030 eine Milliarde Kubikmeter davon haben könnte. Der aktuelle Erdgasverbrauch in Österreich beträgt rund 9 Mrd. Kubikmeter. Für die Ankurbelung der Biogasproduktion fehle derzeit aber der notwenige rechtliche Rahmen, sagt Franz Kirchmeyr vom Kompost- und Biogasverband. Sei der nicht vorhanden, werde es keine Investitionen geben.
Alternativen im Haushalt
Im Haushaltsbereich seien Fernwärme, Wärmepumpen und Holzpellets die besten Alternativen zu Erdgas, meint Franz Angerer. Im Neubau sind Wärmepumpen derzeit ohnehin bereits das meistverbreitete Heizsystem. Gasheizungen damit zu ersetzen, sei aber mit großem Aufwand verbunden. Besonders ältere Heizkörper seien damit etwa nicht kompatibel. Fernwärme werde gerade in den großen Städten noch mit viel Erdgaseinsatz erzeugt. Hier ist aber bereits ein Wandel im Gange, etwa durch Abwärmenutzung. Pellets haben den Vorteil, dass sie zum überwiegenden Teil aus Österreich kommen, auch bei Pelletskesseln sei Österreich Exporteur.
Viele Baustellen bei der Energiewende
Die Windkraft könne in Österreich noch massiv ausgebaut werden, bei Photovoltaik sei das Ausbaupotenzial sogar noch größer. Wichtig sei - das betonen alle befragten Expertinnen und Experten - der möglichst rasche Ausbau erneuerbarer Energien. "Dabei gibt es aber noch viele Baustellen", meint Angerer. Die meisten seien politischer und rechtlicher Natur. U.a. müssten Genehmigungszeiten beschleunigt, Wohn- und Mietrecht erneuert und die Abstimmung von Bund und Ländern verbessert werden. Gesetzesvorhaben wie das Erneuerbare-Ausbau-Gesetz würden viel zu langsam umgesetzt. Eine andere Baustelle sei die Gebäudesanierung, die zu langsam voranschreite.
Das große Ziel für die Dekarbonisierung und somit auch für den Ersatz von Erdgas sei 2040. Schneller werde es trotz des Kriegs in der Ukraine nicht gehen und selbst für das ursprüngliche Ziel "müssen wir erst einmal in die Gänge kommen", meint Martina Prechtl-Grundnig. Immerhin sorge der von Wladimir Putin initiierte Krieg für ein "Wachrütteln". Laut Angerer gebe es auch Grund zur Hoffnung: "Wer vor 20 Jahren ein Passivhaus gebaut hat, galt als Spinner. Photovoltaik war als Energiequelle für Taschenrechner akzeptiert. Manche Veränderungen gehen eben doch schneller als man glaubt."
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