Symbolbild: M270 MLRS startet eine Rakete

Symbolbild: M270 MLRS startet eine Rakete

© US Army

Militärtechnik

Erstmals M270 MLRS Raketenartillerie der Ukraine zerstört

Raketenartillerie gehört seit Beginn der westlichen Hilfslieferungen zum wichtigsten strategischen Instrument der Ukraine. Jetzt ist es Russland anscheinend erstmals gelungen, ein M270 MLRS zu zerstören.

Das Video wurde zuerst auf einem pro-russischen Telegram-Account veröffentlicht. Es zeigt das Bild einer Aufklärungsdrohne. Im Visier ist ein M270 der Ukraine.

Dieses fährt unter Bäumen hervor und dann auf einer Straße. In der Nähe des Dorfes Schewtschenkowe, etwa 60 Kilometer von der nördlichen Frontlinie entfernt, fährt es in ein Gebäude.

Nach einem Schnitt wechselt das Video auf einen anderen Winkel und die Infrarotkamera der Drohne. Es gibt einen Einschlag und eine große Explosion. Ein Pfeil zeigt auf Sekundärexplosionen, die angeblich vom M270 ausgeht.

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Haus war womöglich Munitionslager

Solange es keine Meldung der ukrainischen Streitkräfte zum Verlust des M270 gibt oder Fotos, die das zerstörte Fahrzeug in Schewtschenkowe zeigen und Geolocating zulassen, ist der Abschuss nicht offiziell. Das Video lässt allerdings nur wenig Zweifel daran offen, dass das M270 vernichtet wurde.

M270 MLRS der US-Armee bei einer Übung

M270 MLRS der US-Armee bei einer Übung

Laut dem russischen Telegram-Post hat das M270 keine Raketen abgefeuert, bevor es weggefahren ist, berichtet twz.com. Möglicherweise gab es ein technisches Problem oder der Schussbefehl wurde aufgehoben. Die russische Aufklärungsdrohne habe dann das M270 zurück zu seiner Basis verfolgt.

Bei dem Haus könnte es sich demnach um ein improvisiertes Lager handeln, an dem das M270 aufgetankt und nachgeladen wird. Die Größe der Explosionen deutet jedenfalls darauf hin, dass Treibstoff und/oder Munition getroffen wurde.

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M270 MLRS starten Raketen bei einer Übung

M270 MLRS starten Raketen bei einer Übung

Treffer durch russische Iskander-M

Laut dem russischen Telegram-Konto wurde für den Beschuss eine Iskander-M eingesetzt. Das ist plausibel, da Russland die ballistische Rakete im Krieg gegen die Ukraine oft einsetzt, um zeitkritische, taktisch wertvolle Ziele auf größere Distanzen zu treffen.

Üblicherweise würden in solchen Konflikten patrouillierende Kampfflugzeuge eingesetzt oder ein Alarmstart eingeleitet werden. Russland hat aber, aufgrund der ukrainischen Luftverteidigung, keine echte Lufthoheit. Russland nutzt die Iskander-M etwa auch, um ukrainische Luftabwehranlagen anzugreifen, die vorher mit Drohnen ausgespäht wurden. Das Angreifen einer Luftabwehreinrichtung mit einem Flugzeug wäre viel zu riskant.

Die Iskander-M ist eine ballistische Rakete und kann im Zielanflug eine Geschwindigkeit über Mach 6 erreichen. Daher wird sie von Russland als Hyperschallrakete bezeichnet (Hyperschall: ab Mach 5). Die Reichweite beträgt bis zu 500 Kilometer.

Bestückung mit nuklearen Sprengköpfen

Je nach Ausführung haben die Gefechtsköpfe ein Gewicht zwischen 480 und 700 Kilogramm. Zur möglichen Bestückung gehören Streumunition, Aerosolladung („Benzinbombe“), ein hochexplosive Sprengkopf mit Penetrator um Bunker zu zerstören und Atomsprengköpfe.

Für Letztere gibt es keine konkrete Angabe zur Zerstörungskraft. Rüstungsexperten rechnen damit, dass der Atomsprengkopf einer Iskander-M eine Sprengkraft zwischen 5 und 50 Kilotonnen haben könnte. Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von etwa 13 Kilotonnen.

Russische Streitkräfte verladen eine Iskander-Rakete

Noch keine Iskander-Starter zerstört

Die Iskander-M wird von einem speziellen Lkw aus gestartet. Diesen gibt es in einer Ausführung zum Start einer Rakete und von 2 Raketen. Beim Transport ist der Container geschlossen. Zum Start wird er nach links und rechts aufgeklappt und die Raketen hochgefahren.

Iskander-M

Iskander-M

Bislang ist nicht bekannt, dass es der Ukraine gelungen ist, einen Iskander-M-Starter zu zerstören. Aufgrund der hohen Reichweite und ihrer Mobilität, werden die Raketen vermutlich von Russland aus gestartet, 150km bis 200km oder noch weiter weg von der Grenze – und damit außerhalb der meisten Waffensysteme der Ukraine.

Die besten Chancen auf einen Treffer hätte die Ukraine, wenn sie durch Geheimdienstinformationen das Lager der Iskander-M kennen und dieses mit einer Langstrecken-Kamikazedrohne angreifen. So hat die Ukraine schon Treibstofflager und Drohnenfabriken in Russland angegriffen.

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Ukraine kommt zunehmend in Bedrängnis

Das Video und die Zerstörung des M270 sind, aus ukrainischer Sicht, besorgniserregend. Seitdem im Sommer 2022 die ersten MLRS und M142 HIMARS angekommen waren, hatte Russland es nicht geschafft, die Raketenartillerie zu zerstören.

Im März 2024 war das erstmals soweit. Ein ukrainisches HIMARS wurde zerstört. Auch dafür soll eine Iskander-M verantwortlich gewesen sein.

Im Juni soll abermals ein HIMARS von einer Iskander-M getroffen worden sein.

Shoot & Scoot wird weniger effektiv

Im Frühjahr 2024 hat die Ukraine mehrfach gemeldet, dass die Munition knapp wird, speziell für die westlichen Flugabwehrsysteme. Zudem müssten zerstörte Flugabwehr- und Radaranlagen ersetzt werden.

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Dass Russland jetzt vermehrt schafft mit seinen Aufklärungsdrohnen MLRS und HiMARS hinter der Front aufzuspüren, zeigt, dass die Luftabwehr Lücken hat. Besonders das Verfolgen zu den Stützpunkten ist ein gewaltiges Problem. Dadurch kann Russland nicht nur die Starter selbst, sondern auch gelagerte Munition zerstören.

Das hebelt die „Shoot & Scoot“-Taktik aus, die die Ukraine bisher effektiv gegen Russland eingesetzt hat. Die Starter fahren dabei zum Einsatzort, feuern Raketen ab und fahren wieder los, bevor ein Gegenschlag erfolgen kann. Ein HIMARS kann so alle Raketen an Bord in weniger als einer Minute abfeuern und wieder losfahren.

MLRS: Weit verbreitete Raketenartillerie

Das MLRS (Multiple Launch Rocket System) ist älter als das HIMARS (High Mobility Artillery Rocket System). Es hat kein Lkw-Fahrgestell sondern den Kettenantrieb des Bradley-Panzers. Beide Systeme nutzen dieselbe Munition, die in Pods untergebracht ist.

Das MLRS ist zwar langsamer als das HIMARS, hat dafür aber 2 Pods statt nur einem. Dadurch kann es bis zu 12 normale Raketen oder 2 ATACMS (eine in jedem Pod) transportieren und abfeuern.

Die ATACMS wurde im Oktober 2023 an die Ukraine geliefert und gehört seit dem zu den wichtigsten strategischen Waffen. Die GPS-gesteuerte Rakete hat eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern und wird etwa eingesetzt, um russische Langstrecken-Luftabwehr und andere wichtige Ziele zu zerstören.

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Das M270 ist weit verbreitet. Neben den USA wird es ua. von Großbritannien, Italien, Frankreich, Finnland und Japan eingesetzt. In Deutschland heißt es MARS (Mittleres Artillerieraketensystem).

16 MLRS und 39 HIMARS für die Ukraine

Die Ukraine hat insgesamt 16 MLRS bekommen, von Großbritannien, Norwegen, Frankreich, Deutschland und Italien. Vom HIMARS hat die Ukraine 39 Stück erhalten.

Rüstungsexperten hatten schon viel früher mit hohen Verlusten bei der Raketenartillerie gerechnet, da Russland die Lufthoheit zugeschrieben wurde. Zudem musste die Ukraine die Systeme näher an der Front platzieren, da die USA lange keine ATACMS liefern wollten – die normalen Lenkraketen des MLRS und HIMARS haben nur etwa 90 Kilometer Reichweite.

Dass die Fahrzeuge nicht schon 2022 und 2023 getroffen wurde, ist großteils der „Shoot & Scoot“-Taktik zuzuschreiben – und laut Rüstungsexperten der zu Beginn des Konflikts schlecht organisierten russischen Streitkräfte.

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Ursprünge der modernen Raketenartillerie im Zweiten Weltkrieg

Die Grundidee von Raketenartillerie ist, in kurzer Zeit viele Geschosse abzufeuern. Bei normaler Artillerie muss nach jedem Schuss nachgeladen werden, Raketen können aber im Sekundentakt abgefeuert werden. Zudem ist mit Raketen eine höhere Reichweite als mit regulärer Artillerie möglich.

Der Beginn der modernen Raketenartillerie liegt im Zweiten Weltkrieg. Deutschland setzte hier auf seine Nebelwerfer, die trotz des Namens Raketen abfeuerten.

Die USA montierten Raketenwerfer auf Sherman-Kampfpanzer, wie etwa den T34 Calliope. Am bekanntesten ist die sowjetische Katjuscha. Aufgrund des pfeifenden Geräuschs, das die Raketen verursachten, bekam sie von den deutschen Truppen den Spitznamen Stalinorgel.

Die Sowjetunion setzte die Entwicklung der Raketenartillerie konstant fort. Eines der bekanntesten Systeme ist das BM-21 Grad, das auch heute noch von Russland eingesetzt wird.

Die aktuelle Version, die Russland nutzt, ist das 9A53 Tornado. Dieses System auf einem Lkw-Fahrgestell gibt mit den 122mm-Raketen des Grad, 220mm-Raketen und 300mm-Raketen. Es wurde 2014 in Dienst gestellt und gilt als die russische Antwort auf HIMARS.

Raketenartillerie wird wieder populär

Raketenartillerie wurde von vielen Armeen seit den 2010er-Jahren nicht mehr als Priorität betrachtet. Stattdessen waren Marschflugkörper für Flugzeuge, idealweiser mit Stealth-Eigenschaften, in den Fokus gerückt.

Der Krieg in der Ukraine hat aber gezeigt, dass Raketenartillerie ein wertvolles taktisches Mittel sein kann. Das hat solche Systeme wieder auf den Plan der Armeen gebracht. Mehrere Rüstungskonzerne haben ihre Arbeiten an neuer Raketenartillerie intensiviert.

Vom israelischen Unternehmen Elbit gibt es hier etwa PULS. Dänemark und die Niederlande planen bereits PULS anzuschaffen. Auch die deutsche Bundeswehr hat Interesse bekundet.

Der deutsche Konzern Rheinmetall hat kürzlich GMARS vorgestellt. Dies soll die guten Eigenschaften von MLRS und HIMARS vereinen: Feuerkraft und Mobilität.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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Gregor Gruber

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