Ukraine bekommt mächtige neue Waffe noch vor der US-Armee
Vor fast genau einem Jahr wurde der Ukraine von den USA ein neues Waffensystem versprochen: Ground Launched Small Diameter Bomb (GLSDB). Wie Politico berichtet, dürften diese Woche die ersten Exemplare davon in der Ukraine eintreffen.
GLSDB wurden zusammen von Boeing und Saab entwickelt. Die USA haben Boeing bezahlt, um GLSDB für die Ukraine zu bauen. Die US-Armee hat zwar die Tests der Lenkwaffe beaufsichtigt, aber selbst keine GLSDB im Arsenal.
Dass die Ukraine die bodengestützten Gleitbomben zuerst bekommt, ist eine spannende Wendung. Bisher haben die USA hauptsächlich ältere Waffensysteme geschickt, um die Lager für modernere Varianten davon freizubekommen. Mit GLSDB wird die Ukraine für die USA, Boeing und Saab jetzt zum Testgebiet im realen Gefechtseinsatz – ohne, dass die USA eigene Truppen dafür in den Kampf schicken muss.
Eine Gleitbombe mit Raketenstarter
GLSDB lässt sich am ehesten als eine Gleitbombe mit Raketenstarter beschreiben. Abgefeuert wird sie von regulären MARS und HiMARS-Systemen. Letztere hat die Ukraine ebenfalls von den USA geliefert bekommen und setzt sie effektiv gegen russische Ziele ein.
GLSDB besteht aus 2 Kernkomponenten. Die erste ist die Gleitbombe GBU-39/B SDB, die üblicherweise von Flugzeugen abgeworfen wird. SDB steht für Small Diameter Bomb. Sie wird seit 2006 von der US-Armee eingesetzt.
Die Idee dahinter ist kleine, aber gelenkte Bomben einzusetzen. Weil diese präzise das Ziel treffen, ist keine größere, ungenauere Bombe mit mehr Zerstörungskraft nötig. So kann ein Flugzeug mehr Bomben transportieren und damit mehr Ziele treffen.
Die Reichweite nach dem Abwerfen vom Flugzeug beträgt bis zu 74 Kilometer. Die gesamte GBU-39/B wiegt 129 Kilogramm. Der Gefechtskopf wiegt 93 Kilogramm, wovon 16 Kilogramm Sprengstoff sind. Der Gefechtskopf kann einen Meter Stahlbeton durchschlagen, bevor er zündet. So sollen auch befestigte Stellungen zerstört, bzw. Bunker gesprengt werden.
Die zweite Komponente des GLSDB ist der Raketenantrieb der 227mm M26-Rakete. Die M26 ist der ungelenkte Vorgänger der GMLRS. Beide werden von MARS und HiMARS verschossen. Weil dieser Antrieb genutzt wird, ist GLSDB eben auch mit den HiMARS-Fahrzeugen der Ukraine kompatibel.
Der Raketenantrieb bringt die GLSDB auf die optimale Höhe. Dort trennt sich die Gleitbombe vom M26-Booster und klappt ihre Flügel aus. Den Rest des Fluges gleitet sie ohne Antrieb zum Ziel.
Vorteile des GLSDB
Die Reichweite des GLSDB beträgt bis zu 150 Kilometer. Das ist deutlich mehr als die der GBU-39/B bzw. der JDAM-ER, die beide nach dem Abwerfen des Flugzeuges eine Reichweite von etwas über 70 Kilometern haben. Die gelenkte GMLRS-Munition, die die Ukraine von den USA für die HiMARS bekommen hat, hat nur 80 Kilometer Reichweite.
Der Luftraum der Ukraine ist schwer umkämpft. Keine der beiden Parteien konnte die Lufthoheit sichern und beide haben effektive Luftabwehrsysteme. Die Gleitbombe vom Boden aus starten zu können, ist in diesem Fall ein Vorteil. Das HiMARS ist zudem bekannt dafür, schnell schussbereit und wieder abfahrtbereit zu sein, bevor der Gegenschlag erfolgen kann. In unter 10 Minuten ist das HiMARS feuerbereit, hat seine bis zu 6 Raketen abgefeuert und fährt wieder weg. Die höhere Reichweite des GLSDB spielt dieser Hit-and-Run-Taktik der Ukraine, die sie bisher erfolgreich genutzt hat, zusätzlich in die Hände. Die HiMARS haben schon den Abschussort verlassen, bevor die erste GBU-39/B das Ziel trifft.
GLSDB nutzt eine Kombination aus GPS und Trägheitsnavigation (INS). Laut Saab kann sie damit Ziele auf bis zu einem Meter genau treffen. Außerdem soll sie resistent gegen Jamming sein. Russland setzt seit 2023 GPS-Jamming gegen die Ukraine ein und soll so etwa dafür gesorgt haben, dass die von den USA gelieferten JDAM-Bomben ihre Ziele verfehlen. Ist das GPS blockiert, übernimmt INS. INS ist für gewöhnlich ungenauer als GPS, weil die dafür zuständigen Sensoren driften. Das Problem ist üblicherweise nur bei größeren Flugdistanzen relevant, wie sie etwa Marschflugkörper zurücklegen.
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GLSDB kann Ziele von hinten angreifen
Eine besondere Eigenschaft des GLSDB ist, dass sie im Flug das Ziel von verschiedenen Richtungen ansteuern kann. Sie kann so etwa im Gleitflug eine weite Kurve fliegen, um das Ziel von einer Seite anzugreifen, die von der Flugabwehr schlechter verteidigt wird. Außerdem können so Ziele getroffen werden, die auf einem gegenüberliegenden Berghang stehen, oder von hohen Gebäuden von einer Seite aus geschützt sind. Das GLSDB fliegt quasi über Ziel hinweg, macht dann eine Wende und trifft es von hinten. Das ist mit üblichen ballistischen Waffen, wie der M26 und der GMLRS, nicht möglich. Ob die Ukraine diese Eigenschaft des GLSDB effektiv einsetzen kann, wird sich erst zeigen.
Die Kosten eines GLSDB dürften deutlich günstiger sein als gelenkte HiMARS-Raketen. Der genaue Preis ist nicht bekannt. Eine GBU-39/B kostet den US-Streitkräften aber in etwa 40.000 US-Dollar. Die M26-Motoren im Arsenal der USA gelten als obsolet, weil nur noch GMLRS-Raketen bei der US-Armee aktiv genutzt werden. Eine Standardausführung der GMLRS, wie sie auch die Ukraine bekommen hat, kostet an die 100.000 US-Dollar.
Die GBU-39/B ist ebenfalls reichlich in den Lagern der USA und von verbündeten Ländern vorhanden. Sie wird etwa von Australien, Israel, Italien, den Niederlanden und Schweden genutzt. Im Gegensatz zur obsoleten M26 würden diese aber nachgekauft werden. Dass die Bomben und damit der eigentliche Sprengstoff von anderen Ländern geliefert werden kann, kommt der Ukraine zugute. So kann der politische Hickhack und die Exportrestriktionen umgangen werden. Die GBU-39/B für das GLSDB kommt zB. von einem NATO-Land statt der USA und die USA beliefern danach das NATO-Land mit neuen GBU-39/B.
Munitionsvorräte der Ukraine schwinden
Die Lieferung des GLSDB kommt jedenfalls zu einem guten Zeitpunkt. Die USA und viele EU-Länder haben die Rüstungsgüterlieferungen an die Ukraine gestoppt oder zumindest reduziert. Die Ukraine gerät damit in Gefahr, dass die Munition ausgeht, besonders für weitreichende Waffen, mit denen etwa russische Nachschublager im besetzten Gebiet zerstört werden. Dazu zählt der von Flugzeugen aus gestartete britische Marschflugkörper Storm Shadow, der über eine Million Euro pro Stück kostet.
Um das zu kompensieren, setzt die Ukraine unter anderem die R-360 Neptun ein. Die Antischiffsrakete wurde modifiziert, um auch gegen Landziele eingesetzt werden zu können.
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