Russland wechselt Taktik, um Patriot-Raketenabwehr zu überlisten
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Die Ukraine hat laut eigenen Aussagen Russlands "unstoppbare" Hyperschallrakete Kinschal Kh-47 mit dem US-Luftabwehrsystem "Patriot" abgefangen. Die russischen Streitkräfte änderten daher ihre Strategie, um mit ihren Raketen besser durchzukommen.
Am 28. und 29. Mai soll es Russland gelungen sein, ukrainische Luftstützpunkte im Westen des Landes mit Marschflugkörpern zu treffen. Dabei sollen Flugzeuge und Munition zerstört worden sein. Am Morgen des 29. Mai wurde die ukrainische Hauptstadt Kiew ebenso mit einer Reihe von Raketen beschossen. Ukrainische Beamte sprachen gegenüber CNN von einem "Überraschungsangriff am Tag". Dieser zeige, dass Russland seine Taktik im Umgang mit dem Patriot-System ändert.
Vorgeschichte: Erster Abschuss der Kinschal
Schon Anfang Mai soll so ein Patriot-System die russische Hyperschallrakete Kinschal Kh-47 kurz vor 3 Uhr nachts über Kiew abgefangen haben (die futurezone berichtete). Die Hyperschallrakete wurde zuvor von Russland, mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von Mach 10 (12.300 km/h) und einer Reichweite von bis zu 2.000 Kilometern, als "unstoppbar" bezeichnet.
Im April erhielt die Ukraine jedoch 3 Einheiten des Patriot-Systems von den USA, Deutschland und den Niederlanden. Das Patriot-System ist eines der modernsten Luftabwehrsysteme weltweit und kann gegen Marschflugkörper, Drohnen und Kampfflugzeuge eingesetzt werden.
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Laut CNN konnten die ukrainischen Streitkräfte bei den Attacken Ende Mai 11 ballistische Iskander-Marschflugkörper abschießen. Diese Art von Rakete wird anders als die Kinschal nicht von einem Flugzeug aus abgefeuert, sondern von einer Basisstation am Boden gestartet. Hinter den Abschüssen der Iskander wird das Patriot-System vermutet.
Laut General Valery Zaluzhnyi, Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, soll die Zahl der abgeschossenen Marschflugkörper sogar bei 37 liegen. Zudem sollen Dutzende Kamikazedrohnen des Typs Shahed-136 und ein unbemanntes Aufklärungsflugzeug abgeschossen worden sein.
Russlands neue Taktik
Die Shahed-Drohnen (in Russland auch "Geranium-2" oder Geran genannt) sind dabei ein Teil der neuen russischen Angriffsstrategie. Diese relativ günstigen Kamikazedrohnen werden zunächst vorausgeschickt, um die ukrainische Luftabwehr zu schwächen und ihre Munition aufzubrauchen. Russland besitzt Hunderte solcher Drohnen, die mit 20.000 bis 30.000 Dollar etwa 20 Mal weniger als ein Marschflugkörper kosten.
Kurze Zeit später werden Marschflugkörper nachgeschickt. Diese sollen die Luftabwehr durchbrechen, weil die ukrainischen Luftabwehr-Batterien und -Geschütze erst nachgeladen werden müssen, nachdem sie auf die Kamikazedrohnen geschossen haben.
Dabei ändern die russischen Streitkräfte den Abstand der einzelnen Angriffswellen, um den Gegner zu überraschen und zu Fehlern zu zwingen.
Angriffe bei Schichtwechsel
Außerdem konzentriert sich Russland neuerdings auf Angriffe am Morgen oder Vormittag - zu einer Zeit, in der die ukrainische Luftabwehr angeblich einen Schichtwechsel durchführt. Auch diese Taktik ist neu und hat den zusätzlichen Effekt, dass Zivilist*innen ihren Tagesablauf unterbrechen müssen, um Schutz zu suchen. Landen die Überreste abgeschossener Raketen auf belebten Straßen oder Plätzen, ist so zudem die Chance höher, dort einen Menschen zu treffen. So versucht Russland die Zivilbevölkerung zu terrorisieren.
Kaum Training mit Patriot-System
Patriot-Systeme sind nur in begrenzter Stückzahl vorhanden, außerdem hätten die ukrainischen Streitkräfte lediglich einen "Crashkurs" mit diesen Systemen absolviert. Ausgiebiges Training ist so etwa wichtig, um das Luftabwehrsystem gefechtsbereit zu machen. Eine Patriot-Batterie ist mit maximal 16 Raketen bestückbar, danach muss das System wieder neu geladen werden. Das funktioniert bei einem perfekt eingespielten Team in etwa 30 Minuten, die US-Armee gibt aber eine Nachladezeit von einer Stunde als Mindeststandard an. Ob die ukrainischen Soldaten diesen Standard erreichen, ist unklar.
Mit der neuen Taktik hat Russland es darauf abgesehen, das Patriot-System zu neutralisieren - entweder durch direkte Treffer, oder durch die Erschöpfung von Munition und Betreiber. Russland setzt dazu neuerdings auch billig gebaute Drohnen aus Holz ein, die rein als Ziel dienen, damit die Patriots ihre Raketen verschießen, bevor die Shahed-Drohnen und Marschflugkörper folgen. Die Luftabwehrsysteme können nämlich nicht verlässlich unterscheiden, ob eine Drohne tatsächlich mit Sprengstoff bewaffnet, oder nur ein harmloser Holz-Flieger ist.
Auch die anderen Luftabwehr-Maßnahmen der Ukraine könnten durch die russischen Sättigungsangriffe mit den Drohnen geschwächt werden. Mehrere Quellen, darunter eine durchgesickerte US-Militäreinschätzung, wiesen in den vergangenen Monaten auf kritische Mängel in der ukrainischen Luftabwehr hin. Ein Grund dafür ist, dass Munition für das sowjetische S-300-System - das Arbeitstier der ukrainischen Luftabwehr - immer schwerer zu finden ist.
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