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Neue Raketenartillerie hat 4-fache Feuerkraft von HiMARS

Darfs ein bisserl mehr sein? Das hat sich Lockheed Martin womöglich bei seiner neuen Konstruktion gedacht. Der US-Rüstungskonzern ist hauptsächlich für seine Stealth-Jets F-22 und F-35 bekannt, stellt auch MARS und HiMARS her.

Das neue Gefährt nutzt die gängigen Pods dieser Raketenartillerie-Systeme, allerdings mit Aufschlag. Gleich 4 Stück kommen zum Einsatz. Damit ist die Feuerkraft doppelt so hoch wie bei MARS und 4-mal höher als bei HiMARS.

Gezeigt wurde das noch namenlose Konzeptfahrzeug erstmals bei einer Veranstaltung der US Armee. Anstatt einer völlig neuen Konstruktion wird ein bestehendes Vehikel genutzt: Das MKR18 Logistics Vehicle System Replacement (LVSR) der US Marines.

Dabei handelt es sich um einen 5-Achser, der leer 24 Tonnen wiegt. Im Gelände kann der Lkw 15 Tonnen Last transportieren, auf der Straße 20 Tonnen. Der 600-PS-Motor ermöglicht eine Maximalgeschwindigkeit von 105 km/h. Die 628 Liter Diesel reichen für 483 km Reichweite.

Üblicherweise dient er als Rollkipper. Dazu hat er einen hydraulischen Arm am Heck, um Container und Mulden direkt vom Boden aufzuladen. Das Konzeptfahrzeug von Lockheed nutzt die Hydraulik als Rampe, um die Pods mit den Raketen in die Startposition zu bringen.

Konzeptfahrzeug mit 4 Raketen-Pods

Schneller Ersatz für zerstörte Raketenartillerie

Das Konzept scheint auf dem ersten Blick nicht einleuchtend zu sein. Denn HiMARS wurde damals geschaffen, weil MARS zu langsam und zu schwer ist für moderne Schlachtfelder – wieso jetzt also ein Fahrzeug, das noch größer und noch schwerer ist?

Die Idee dahinter ist, dass sowohl das Basis-Fahrzeug als auch die Pods und die Infrastruktur zum Laden der Pods bereits zur Verfügung stehen. Wird das Konzept weiterausgebaut, könnte ein MKR18 bei Bedarf in kurzer Zeit und direkt in der Nähe des Einsatzorts zur Raketenartillerie umgerüstet werden. So könnten etwa im Einsatz zerstörte MARS oder HiMARS ersetzt oder eben ergänzt werden, falls mehr Feuerkraft nötig ist.

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Auch zur Luftabwehr einsetzbar

Diese modulare Lösung hat einen weiteren Vorteil. Laut Lockheed kann das Fahrzeug auch Luftabwehrraketen starten. Welche, wollte das Unternehmen noch nicht verraten. Da das Konzeptfahrzeug aber auch in bestehende Luftabwehr-Batterien (mehrere Starter und eine Feuerleitstelle) eingegliedert werden kann, ist vermutlich der Einsatz der PAC-3 vorgesehen.

Diese Luftabwehrrakete wird ebenfalls von Lockheed gebaut. Sie wird für das Flugabwehrsystem Patriot genutzt, das auch der Ukraine zur Verfügung gestellt wurde.

Die PAC-3 MSE ist die neueste Variante der PAC-Familie. Sie hat eine Reichweite von bis zu 120 km. Sie ist 5,3 Meter lang und damit zu groß für einen Raketenartillerie-Pod. Aus dem MARS und HiMARS kann sie also nicht verschossen werden.

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Wie auf dem Foto des Konzeptfahrzeugs zu sehen ist, sind die Pods aber vorne auf der Rampe montiert. Dahinter ist noch reichlich Platz. Es könnten also PAC-3-Pods montiert werden, so wie sie bei den Patriot-Startern genutzt werden. Das Konzeptfahrzeug könnte so mit 12 PAC-3 MSE bestückt werden.

Ein MEADS-Starter feuer eine PAC-3 MSE ab

Cruise Missile aus einem Transportflugzeug abwerfen

Der Versuch, Transportfahrzeuge zu Waffenträgern umzubauen, ist nicht neu. Aktuell gehen diese Bemühungen darauf zurück, dass sich die USA auf einen potenziellen Konflikt mit China vorbereiten, sollte das Land die Drohung wahr machen und Taiwan angreifen. Im Gegensatz zu den jüngeren Konflikten stehen die USA hier einer Armee gegenüber, die zahlenmäßig ebenbürtig, bzw. wegen des Heimvorteils überlegen ist, weil die USA erst zusätzlich Truppen und Kriegsgebiet Richtung China befördern müssen.

Durch das Umrüsten von unbewaffnetem Kriegsgerät zu bewaffnetem, kann versucht werden, die zahlenmäßige Unterlegenheit auszugleichen, bzw. die Zeit zu überbrücken, bis Nachschub eingetroffen ist. Dazu entwickeln die USA etwa gerade Rapid Dragon. Damit können zukünftig Cruise Missiles auf Paletten aus dem Frachtraum von Transportflugzeugen abgeworfen werden.

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Verschiedene Raketen für MARS und HiMARS

Lockheed hat seine Raketenartillerie laufend weiterentwickelt. Der Fokus stand aber nicht auf dem Fahrzeug, sondern der Munition. Wichtig dabei war, dass auch neue Raketen immer aus den genormten Pods verschossen werden konnten.

Die aktuelle Standardbewaffnung sind GPS-gelenkte Raketen (GLMRS) mit einer Reichweite von bis zu 92 km. Mit ATACMS gibt es eine Rakete mit bis zu 300 km Reichweite. Statt 6 der normalen Raketen kann von dieser aber nur ein Stück pro Pod transportiert werden. Hier würde das Konzeptfahrzeug seine Vorteile gegenüber dem HiMARS am stärksten ausspielen: Statt nur einer ATACMS können 4 gestartet werden.

ATACMS wird bei den US-Streitkräften gerade von PrSM abgelöst. Diese gelenkte Rakete hat eine Reichweite von bis zu 500 km. In weiteren Entwicklungsstufen soll die Reichweite erhöht werden. Angepeilt sind 1.000 km. Pro Pod haben 2 PrSM Platz, das Lockheed-Konzeptfahrzeug könnte also 8 Stück davon starten.

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Eine weitere mögliche Bewaffnung kommt mit der GLSDB, die von Boeing und Saab entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um eine raketengestartete Gleitbombe mit bis zu 150 km Reichweite, die die Standardgröße der GLMRS hat. Das Konzeptfahrzeug könnte 24 Stück davon mitführen und in schneller Folge abfeuern.

Im Gegensatz zu Raketen haben diese Gleitbomben den Vorteil, dass sie um Hindernisse, wie etwa Berge oder Hochhäuser, herumfliegen und von der anderen Seite ihr Ziel attackieren können. Die GLSDB ist vorerst nur für die Ukraine vorgesehen. Ob die USA sie ebenfalls anschaffen werden, ist noch nicht bekannt.

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Raketenartillerie ist wieder gefragt

Einen konkreten Auftrag, dieses Konzeptfahrzeug in ein reales Waffensystem umzusetzen, dürfte Lockheed noch nicht haben. Der Krieg zwischen Russland und Ukraine hat jedenfalls gezeigt, dass Raketenartillerie auch auf modernen Schlachtfeldern sehr wertvoll ist.

Mehrere andere Rüstungsunternehmen haben entsprechende Systeme vorgestellt. Lockheed kooperiert etwa auch mit dem deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall. Mit GMARS wurde eine Raketenartillerie vorgestellt, die wie eine Mischung aus MARS und HiMARS wirkt.

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Ursprünge der modernen Raketenartillerie

Die Grundidee der Raketenartillerie ist, in kurzer Zeit viele Geschosse abzufeuern. Bei normaler Artillerie muss nach jedem Schuss nachgeladen werden, Raketen können aber im Sekundentakt abgefeuert werden. Zudem ist mit Raketen eine höhere Reichweite als mit regulärer Artillerie möglich.

Der Beginn der modernen Raketenartillerie liegt im Zweiten Weltkrieg. Deutschland setzte hier auf seine Nebelwerfer, die trotz des Namens Raketen abfeuerten.

Die USA montierten Raketenwerfer auf Sherman-Kampfpanzer, wie etwa den T34 Calliope.

Am bekanntesten ist die sowjetische Katjuscha. Aufgrund des pfeifenden Geräuschs, das die Raketen verursachten, bekam sie von den deutschen Truppen den Spitznamen Stalinorgel.

Kalter Krieg: Sowjetunion setzt weiter auf Raketenartillerie

Die Sowjetunion setzte die Entwicklung der Raketenartillerie konstant fort. Eines der bekanntesten Systeme ist das BM-21 Grad, das auch heute noch von Russland eingesetzt wird.

Die aktuelle Version, die Russland nutzt, ist das 9A53 Tornado. Dieses System auf einem Lkw-Fahrgestell gibt mit den 122mm-Raketen des Grad, 220mm-Raketen und 300mm-Raketen. Es wurde 2014 in Dienst gestellt und gilt als die russische Antwort auf HIMARS.

MLRS: Die USA sind Nachzügler

In den 70er-Jahren erkannten die USA, dass weder sie noch andere NATO-Länder mit der sowjetischen Raketenartillerie mithalten konnten. Um für das Nachzügeln wettzumachen, entschloss man sich, die sowjetische Raketenartillerie mit weniger Raketen, aber mehr Reichweite zu schlagen. Dazu wurde das Multiple Launch Rocket System (MLRS) mit 227mm-Raketen entworfen.

Das MLRS kam in den USA unter dem Namen M270 im Golfkrieg und in Afghanistan zum Einsatz. Israel hat damit 2023 Ziele im Gazastreifen beschossen. Neben HIMARS hat die Ukraine auch MLRS geliefert bekommen. Diese kamen aber nicht von den USA, sondern von Großbritannien und Deutschland.

Die neueste Version des MLRS ist das M270A2 der US-Armee. 2019 wurden ältere MLRS mit einem neuen Zielsystem aufgerüstet, um die PrSM abfeuern zu können. Außerdem wurden Motor und Getriebe verbessert, sowie die Panzerung der Kabine.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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