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Kommentar

Der Amazon-Kundendienst lügt mich eiskalt an

Sudhanshu lacht mich aus, weil er denkt, dass ich auf seine Lügen reinfalle (Symbolbild)

Dass die eigene Zustellung von Amazon nicht immer leiwand ist, ist nichts Neues. Dass der Kundenservice von Amazon mich aber beinhart anlügt, wenn ich Informationen zu einem verschollenen Paket erfrage, ist schon ziemlich frech.

Ereignet hat sich das Ganze am Donnerstag. Ausnahmsweise war ich im Home-Office. Gegen 12:50 läutet es an der Haustür. Ich öffne über die Gegensprechanlage und mache die Wohnungstür auf. Ich höre wie eine Person schnurstracks die Stiegen rauf stapft und in einem der 4 Stockwerke über mir läutet.

„Gut, wird wohl der Amazon-Typ sein, der vorher noch ein anderes Paket abliefert“, dachte ich mir und habe die Tür derweil zugemacht und weitergearbeitet. Zu meiner Wohnungstür hat es an diesem Tag aber niemand geschafft, die Haustürklingel blieb stumm und auch Klopfzeichen waren nicht zu vernehmen.

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Gegen 15:30 sehe ich dann im Tracking in der Amazon-App einen Eintrag für 12:57: „Zugestellt: 14. September. Die Sendung wurde einem Hausbewohner übergeben.“ Ja, geil. Keine Wohnungsnummer angegeben in der App, kein Name. Also runter zum Briefkasten: Keine Benachrichtigung im Kastl. An der Wohnungs- und Haustür ist auch kein Zettel.

In meinem Haus gibt es 33 Wohnungen auf 5 Stockwerke verteilt. Selbst, wenn ich nur die 4 Stockwerke über mir durchläuten würde, wären das über 20-mal: „Verzeihung, hat vor ein paar Stunden ein Amazon-Typ ein Paket abgegeben? Das warad dann für mich.“

Der lange Weg, bis man mit einem Menschen chatten kann

Also, App öffnen, zu „Meine Bestellungen“ gehen, Artikel auswählen und „Benötigst du Unterstützung mit deinem Artikel?“ wählen. Dort gibt es aber nur die Option „Artikel zurückgeben“. Gut, rechts unten auf das 3-Striche-Menü, runterscrollen zu „Kundenservice“. Dann den Artikel auswählen und dort auf „Zugestellt angegeben, aber es ist nicht hier“ tippen. Dann darf man aber nicht auf die fett gelb markierte Schaltfläche klicken, sondern das dezente darunter stehende: „Ich benötige weitere Hilfe“.

Hier empfiehlt Amazon, mit ihnen zu chatten. Ja passt, die Option mich irgendwann anrufen zu lassen, ist mit eh nicht geheuer. „Jetzt Chatten“ öffnet den automatischen Assistenten. Dort tippt man nochmal an, dass das Produkt nicht angekommen ist. Dann „Paket ist nie angekommen.“ Dann kommt der grandiose Vorschlag: „Haben Sie versucht, Ihre Gegend zu überprüfen und Nachbarn und Hausmitglieder zu fragen?“ Ja, geh doch sch***en! Hat der Amazon-Zusteller vielleicht versucht, das Paket mir statt irgendwem zu bringen? Oder mir eine Nachricht zu hinterlassen? Oder in die App zu schreiben, wo er mein Paket angebaut hat? Mit einer innerlichen Rage eines Berserkers, aber der Gelassenheit eines Shaolin-Mönchs, der ein 10kg Gewicht von seinen Genitalien baumeln lässt (warum zum Teufel tut ihr das, liebe Mönche?), tippe ich auf: „Ja, es ist nicht da“.

Jetzt kommt die automatisch generierte Antwort: „Wir gehen dennoch davon aus, dass ihr Paket morgen bei Ihnen ankommt. Die Zustellung sollte bis zum Sa, 16. Sept, erfolgen.“ Lieber Chatbot: Bitte siehe oben meine Aufforderung, dich auf direktem Weg zu einer Toilette zu begeben. Ich weiß, dass das Paket irgendwo zugestellt wurde. Wie soll es noch bei mir ankommen? Kommt der Lieferer nochmal vorbei, holt das Paket ab und gibt es richtig ab? I doubt it. I doubt it a lot.

Also tippe ich auf: „Was passiert, wenn der Artikel nicht eintrifft?“ Der Chatbot behauptet stoisch: „Es wird bis zum Sa, 16. Sept, eintreffen. Bitte beachten Sie, dass wir Ihnen nach dem Sa, 16. Sep, alternative Lösungen zur Verfügung stellen können.“ Das Einzige, was man jetzt noch antippen kann, ist: „Gut, das mache ich“. Danach kommt die Option zu wählen „Ja, das Problem besteht weiterhin“.

Ein Teil der Unterhaltung mit dem Chatbot

Und jetzt, endlich, ist zum ersten Mal die Option da, dass man „Hilfe per Chat erhalten“ kann – also vermeintlich mit einem Menschen schreiben kann. Es ist als hätte man ein Multiple-Choice-Videospiel gespielt und endlich die Lösung herausgefunden. Mittelmäßig enthusiastisch klicke ich an: „Hilfe per Chat erhalten.“

Nice, in weniger als 10 Sekunden poppt „Sudhanshu“ auf. Ich schildere den Fall und bitte höflich darum, ob Sudhanshu nachschauen kann, ob der Zulieferer in den Daten hinterlegt hat, wo er das Paket abgegeben hat. 2-minütiges Schweigen.

Schließlich kommt die Nachricht: „Ich habe Ihr Anliegen überprüft. Ihr Paket ist anscheinend noch unterwegs.“ Sagmal geht’s noch? Hast du überhaupt ins Tracking geschaut? Das schreibe ich nicht. Sondern: „Laut Amazon Tracking wurde es zugestellt, an einen ‚Hausbewohner´“.

Und jetzt kommt der eigentliche Punkt meines Geschwafels hier. Sudhanshu schreibt: „Machen Sie sich bitte keine Sorgen manchmal scannt der Transportdienst aus Versehen den Artikel und es zeigt als zugestellt an. Sie werden den Artikel natürlich erhalten.“

Oida? Ich habe gehört, dass der Zulieferer das Paket woanders abgegeben hat. Es ist im Tracking so drin. Warum zum Teufel werde ich hier eiskalt angelogen? Ruf doch den Zulieferer an und frage ihn, wo er das Paket abgelegt hat. So ein Fürdummverkaufen ist einfach nur dreist, sogar für Amazon.

Anyway, ich spiele mit und frage Sudhanshu: „Wann soll ich mich wieder melden, falls der Artikel nicht zugestellt wird?“ Die Antwort ist klar: „Er wird bis zum Sa, 16. Sep eintreffen.“ Ah super, die hellseherischen Fähigkeiten von Sudhanshu, die im Wortlaut nahezu denen des Chatbots entsprechen (Zufall?) sagen, dass das Paket von selbst beschließt, die Wohnung von bei wem auch immer es ist, zu verlassen und sich selbst zuzustellen. Nice.

Heute, Freitag, habe ich noch einen handgeschriebenen Zettel am schwarzen Brett des Hauses aufgehängt, ob jemand vielleicht von einem „deppaten Amazon-Zusteller, der mir keine Nachricht hinterlassen hat“ ein Paket bekommen hat, das für mich gedacht war. Mit der Bitte, mir die Wohnungsnummer auf dem Zettel zu schreiben, damit ich das Paket abholen kann.

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Tatsächlich ist in meiner Abwesenheit eine nette Nachbarin samt Paket bei mir aufgetaucht. Sie wollte es lieber gleich vorbeibringen, weil sie am Wochenende nicht da ist. Leider war ich nicht anwesend, sondern meine Lebensgefährtin. Leider hat die Nachbarin auch nicht gesagt, von welcher Wohnungsnummer sie ist, weshalb ich vorläufig hier nur sagen kann: Danke für die Freundlichkeit und Ehrlichkeit, liebe Unbekannte!

Noch als Fun Fact: Sie hat an diesem Tag gar nichts selbst von Amazon bekommen. Der Amazon-Zusteller ist einfach direkt zu ihrer Wohnung und hat ihr mein Paket gegeben.

Fazit: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht...

Zusammengefasst: Was geht mit dir, Zusteller? Unten kannst du richtig läuten, aber dann gehst du irgendwohin das Pakerl abwerfen? Und: Was geht mit dir, Sudhanshu? Wieso behauptest du frech, das Paket ist in Zustellung, wenn seit 2 Stunden im Tracking steht, dass es zugestellt wurde? Wieso versucht du nicht mal, den Zusteller zu erreichen?

Um Sudhanshu ein bisschen in Schutz zu nehmen: Ziemlich sicher gibt es bei Amazon, bzw. den Unternehmen, die für Amazon den Kundendienst machen, ein Regelbuch, das sagt, wie in solchen Fällen mit Kund*innen umzugehen ist. Er/sie wird nicht von sich aus behaupten, dass das Paket noch unterwegs ist und diese Story mit „falsch gescannt“ erfinden. Es ist eine Hinhaltetaktik, um nicht mit den Zulieferern sprechen zu müssen, weil das Zeit kostet. Und Zeit ist bekanntlich Geld. Die Hoffnung ist vermutlich, dass sich in den 2 Tagen des versprochenen Eintreff-Termins wirklich der/die Nachbar*in erbarmt und das Paket vorbeibringt.

Sollte das wirklich so im Regelbuch stehen, macht es die Situation noch schlimmer. Kund*innen belügen mit System, wäre das dann. Wenn ihr was aus der Geschichte lernen wollt: Glaubt dem Amazon-Kundenservice prinzipiell nicht. Stellt auch einen Reminder, ab wann ihr nicht zugestellte Pakete reklamieren könnt, und nehmt euch mindestens 10 Minuten Zeit für den Prozess, sofern ihr die Sache über die labyrinthartige Chat-Funktion regeln wollt.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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