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TikTok Now im Test: Wie ein Konzern das Kopieren lernte

Das soziale Netzwerk TikTok hat in den vergangenen Jahren einen rasanten Aufstieg hingelegt. Initial in unseren Breitengraden als musical.ly bekannt, ist die App mittlerweile als Ableger des chinesischen Douyin im Rest der Welt angekommen. Während die Babyboomer eher weniger auf der Plattform vertreten sind, ist die Generation Z voll vertreten.

Die große Beliebtheit hat TikTok mittlerweile auf die obersten Plätze im Ranking der sozialen Netzwerke gehievt, für das Unternehmen geht es aber weiterhin darum, noch mehr Nutzer*innen anzulocken. Das Konzept von TikTok ist dabei aber nicht für jedermann attraktiv.

Kurze Clips, oft mit Musik oder Dialogen hinterlegt, werden hauptsächlich veröffentlicht. Texteinträge oder großartige Debatten sind eher fehl am Platz. Abseits der kurzen Videos hat TikTok in Sachen Inhalt aber relativ wenig zu bieten. Die App bietet keinerlei Zusatzfeatures, andere Firmenteile spielen zumindest in Europa in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle. Immerhin gibt es aber seit kurzem eine zweite App aus dem Hause TikTok: TikTok Now.

TikTok Now in Bildern

Die Mär von der Unabhängigkeit

Bei TikTok Now handelt es sich um eine auf den ersten Blick von TikTok unabhängige Extra-App, die das bereits in der TikTok-App integrierte Feature herausbrechen soll. Das Konzept dahinter ist ziemlich simpel und für Nutzer*innen, die müde von der Falschheit in den sozialen Netzwerken sind, äußerst interessant. Gleichzeitig ist da Konzept aber auch nicht neu. Dazu später mehr.

TikTok Now bietet uns die Möglichkeit, wieder einen Hauch Realität in den Social-Media-Alltag zu bringen. Während Instagram und Co. mittlerweile von gestellten Fotos, Werbung und einer generell verzerrten Realität verseucht sind, sollen wir auf TikTok Now das wahre Leben zu sehen bekommen.

Um die App nutzen zu können, braucht es erstmal einen Account. Einen TikTok-Account. Für einen TikTok-Verweigerer wie mich beginnt hier schon die erste Hürde. Meinen Account aus der Anfangszeit des Netzwerkes finde ich nicht mehr, also muss ein neuer her. TikTok Now agiert zwar als unabhängige App, ist es aber nicht.

Versuchen wir einen Account zu registrieren, bittet uns die Anwendung aus Sicherheitsgründen in die TikTok-App zu wechseln, um dort die Registrierung abzuschließen. Also wird die TikTok-App auch noch heruntergeladen und die Registrierung von neuem begonnen. Haben wir die Anmeldung in der App abgeschlossen, dürfen wir wieder zu TikTok Now zurückkehren und uns dort mit dem gerade erstellten Account anmelden.

Einführung mit Déjà-vu

Zum Start gilt es einige Berechtigungen für die App freizugeben. Wichtig ist die Freigabe von Beachrichtigungen, ohne die Now kaum sinnvoll nutzbar ist. Außerdem freigeben können wir unser Kontaktbuch, um nicht nur noch mehr Datensammelei zu ermöglichen, sondern in der Theorie auch Freund*innen per Telefonbuch-Eintrag direkt hinzufügen zu können. Mikrofon und Kamera braucht TikTok Now dann auch noch, um überhaupt Inhalte für die App festhalten zu können.

Haben wir uns durch den Berechtigungsslalom gekämpft, erklärt uns die Now-App ihr simples Konzept. Zur Veranschaulichung bekommen wir eine Push-Benachrichtigung präsentiert, genauso, wie wir sie ab sofort jeden Tag sehen werden. „Du hast noch 3 Minuten! Veröffentliche dein heutiges Now und schau dir an, was deine Freund*innen veröffentlicht haben.“ steht dort geschrieben. Nachdem wir auf die Benachrichtigung tippen, startet die Kamera-Applikation von Now.

Im Gegensatz zum klassischen sozialen Netzwerk wird aber hier nicht nur mit einer Kamera, sondern gleichzeitig mit Front- und Rückkamera gearbeitet. Ganze drei Minuten haben wir dann Zeit, ein Foto von uns im Hier und Jetzt anzufertigen. Der Timer am oberen Bildschirmrand erinnert uns daran, dass wir keine Zeit für großartiges Posen haben und ein Ortswechsel für irgendein Fake-Foto sowieso nicht infrage kommt.

Theoretisch können wir die Aufnahme während des Countdowns beliebig oft wiederholen, mehr als das Ausbessern eines verschwommenen Fotos ist aber eigentlich nicht möglich. Haben wir unser Now aufgenommen, können wir noch wählen, ob wir unseren Post nur mit Freund*innen oder der ganzen Welt teilen möchten.

Wenig zu tun

Ist der Einführungstanz vorbei, landen wir im Dashboard der App. Hier sammeln sich, unterteilt in zwei Reiter, alle Posts unserer Freund*innen und von Nutzer*innen aus ganzen Welt. Zu sehen bekommen wir immer die beiden Bilder, die aufgenommen wurden. Der Selfie-Teil der Aufnahmen lässt sich dabei unabhängig von der Rück-Aufnahme verschieben, um etwa verdeckte Inhalte sehen zu können.

Jedes Now kann mit einem Herzchen geliked werden, außerdem ist das Kommentieren und Teilen möglich. TikTok Now hält zudem fest, wann die Aufnahmen der einzelnen Nutzer*innen angefertigt wurden. Da bei Now alle Nutzer*innen gleichzeitig die Benachrichtigung erhalten, einen Post anzufertigen, sehen wir dann auch, wer dies zu spät getan hat. Besonders aufregend ist die App aber nicht. Über die Kernfunktion hinaus hat TikTok Now quasi nichts zu bieten.

Bis auf das Durchforsten anderer Posts gibt es hier nicht viel zu tun. Im Dashboard stehen die User*innen-Inhalte im Fokus, zwei weitere Tabs gibt es zumindest noch, die wir durchforsten können. Einerseits gibt es einen eigenen Tab, mit dem wir neue Freund*innen suchen bzw. hinzufügen können. Kontakte, die aus unserem Telefonbuch gefischt wurden, werden hier auch angezeigt. Im dritten und letzten Tab sehen wir dann noch unser eigenes Profil und Erinnerungen, in denen vergangene Posts zum Rekapitulieren festgehalten werden.

Auch hier zu finden sind die Einstellungen von TikTok Now, die uns einige kleine Anpassungen ermöglichen. Unter anderem können wir festlegen, ob unser Konto privat sein soll und wer bei uns kommentieren kann. Auch Spitzname und Profilbild können hier angepasst werden. Bis auf die Option zum Leeren des Caches gibt es darüber hinaus aber nichts zu justieren.

Dreister kopiert wird selten

Dass im App-Business und gerade bei sozialen Netzwerken kopiert wird, ist keine Neuigkeit. Gerade der Meta-Konzern bedient sich gerne bei den erfolgreichen Konzepten anderer Apps, um der Konkurrenz das Wasser abzugraben. Instagrams Reels oder YouTube Shorts gelten etwa als Kopien von TikTok. Auch im Hause TikTok scheint man sich aber für diese Herangehensweise mittlerweile erwärmt zu haben, geht dabei aber fast schon dreist vor.

Sieht man sich die Bewertungen der App etwa in Apples App Store an, kann diese lediglich zwei Sterne und einen Haufen erboster Kommentare vorweisen. Wer nämlich die gerade im Hype befindliche App BeReal schon einmal genutzt hat, erkennt nicht nur das Konzept der App bei TikTok Now wieder. Stattdessen hat man das soziale Netzwerk von BeReal fast eins zu eins abgekupfert.

TikTok Now ähnelt BeReal auch bei den Themen Bedienung und Design so stark, dass ich während des Tests kurz nicht sicher war, ob ich in der falschen App bin. TikTok versucht hier offensichtlich einem kleinen Konkurrenten frühzeitig den Wind aus den Segeln zu nehmen, ohne dabei auch nur einen Hauch an Mehrwert bieten zu können.

Während das kopierte Story-Feature bei Meta oder Shorts bei YouTube wenigstens sinnhaftig in die hauseigenen Apps integriert wurden, passt das BeReal-Konzept nicht einmal in das TikTok-Universum. Auch deshalb testet der Konzern wohl das Feature neben der Integration in die TikTok-App eben auch unter dem Namen Now als vermeintlich unabhängige App. Eine Herangehensweise, die auch in den App-Bewertungen für viel Unverständnis sorgt.

Fazit

Das Konzept von TikTok Now wäre spannend und interessant, wenn es nicht bereits existiert hätte. Die App versteht sich als exakte Kopie von BeReal, ohne einen großen Mehrwert zu bieten. Ob die Nutzer*innen-Basis von TikTok auf den Zug aufspringen wird, lässt sich nur sehr schwer vorhersagen. Dienen die App-Bewertungen als Indikator, könnte es für TikTok Now allerdings schwer werden, neben BeReal Fuß zu fassen.

TikTok Now ist kostenlos für iOS und Android erhältlich.

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Amir Farouk

Early-Adopter. Liebt Apps und das Internet of Things. Schreibt aber auch gerne über andere Themen.

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