Der Fall der Tech-Giganten: Warum die Branche in der Krise ist
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Der spektakulärste Coup in der Techbranche war dieses Jahr eindeutig die Übernahme von Twitter durch den High-Tech-Milliardär Elon Musk im Oktober 2022. Musk ernannte sich selbst auch gleich zum neuen Firmen-Chef. 44 Milliarden US-Dollar zahlte der Milliardär für den Kurznachrichtendienst, der bisher keinen Gewinn abwarf, um den Dienst nur wenige Tage nach der Übernahme in pures Chaos zu stürzen.
Der bisherige Firmen- und Finanzchef wurden noch am ersten Tag gefeuert, doch wenig später folgten Massenentlassungen. Die Hälfte der Twitter-Belegschaft musste Anfang November das Unternehmen verlassen. Informiert wurden die Mitarbeiter*innen per E-Mail. Die bei Massenentlassungen vorgeschriebene 60-Tages-Frist wollte Musk nicht einhalten, was gegen US-Recht verstößt. Die restlichen Mitarbeiter*innen wurden dazu verdonnert „Hardcore“ für das Unternehmen zu arbeiten, also mit zahlreichen Überstunden und ohne Pausen.
Werbekunden springen ab
Unter den Gegangenen befanden sich jene Mitarbeiter*innen, die für die Sicherheit zuständig waren, sowie jene, die die Verbreitung von Fake News verhindert haben. Musk schwärmt unterdessen von „freier Rede“ und will keine Zensur mehr zulassen. Die Werbekunden zeigten sich skeptisch, zahlreiche von ihnen, darunter United Airlines, Pfizer, General Mills sowie Audi, zogen ihre Anzeigen zurück. Ob Musk mit seinem Sparkurs und neuen Ideen zur Monetarisierung des Dienstes das Ruder noch einmal rumreißen kann, bleibt abzuwarten.
Fakt ist: Twitter ist mit seiner Krise nicht allein. Alphabet, Microsoft, Amazon, oder Meta: Egal, wohin man blickt, praktisch alle US-Technologiekonzerne sind dieses Jahr in irgendeiner Art und Weise ins Straucheln geraten. Die ganze Branche befindet sich auf Sparkurs.
Meta geht es schlecht wegen dem Metaverse
Der Facebook-Konzern Meta führte etwa dieses Jahr den ersten großen Stellenabbau seiner Geschichte durch: Mehr als 11.000 Mitarbeiter*innen, das sind etwa 13 Prozent der Belegschaft, mussten gehen. Doch anders als bei Twitter hielt sich Meta-Gründer Mark Zuckerberg an sämtliche Gesetze und Regeln. Meta schreibt nach wie vor satte Gewinne: 32 Milliarden US-Dollar operativer Gewinn waren es in den ersten neun Monaten des Jahres. Doch im vergangenen Jahr war die Zahl deutlich höher: 41 Milliarden. Das Kerngeschäft - Online-Werbung über die Meta-Apps - war dank einer allgemeinen Rezession und Inflation eingebrochen.
Doch der Rückgang allein bringt den Konzern nicht ins Straucheln. Meta steckt in einer Zwickmühle, die im Oktober 2021 begonnen hat und sich seither fortsetzt. Der Grund dafür hat mit der Umbenennung des Konzerns und der geplanten Eroberung des Metaverse zu tun. Seit Facebook seinen Fokus verändert hat, weg von einer Social-Media-Plattform, hin zu einer Plattform für virtuelle Realität, fließen rund 30 Prozent der lukrativen Werbeeinnahmen in die neuen Firmensparte Reality Labs. Doch diese schrieb in den ersten neun Monaten des Jahres 9,4 Milliarden US-Dollar Verlust. Nächstes Jahr soll noch mehr Geld in diese Sparte fließen, wie Zuckerberg angekündigt hat. Die Mitarbeiter*innen befürchten unterdessen, dass das Metaverse der "langsame Tod" des Unternehmens sein könnte.
Ab wann sich die Reality-Labs-Sparte und das Metaverse finanziell für den Konzern auszahlen werden, steht völlig in den Sternen. Zuckerberg selbst geht davon aus, dass das auch erst in zehn Jahren der Fall sein könnte. Deshalb herrscht nach den Massenentlassungen nun erst einmal ein Einstellungsstopp. Meta hofft, vor allem Unternehmen für die Idee virtueller Welten zu begeistern, in denen ihre Abläufe und Geschäfte Platz finden könnten. In Zuckerbergs Vision werden Firmen statt in Computer künftig in VR-Brillen investieren, um dann rein virtuell im Metaverse zu arbeiten.
Die Umsatzprognosen für 2023 sind bei Meta jedenfalls weiterhin gedämpft. Außerdem ist Meta mit zahlreichen Änderungen durch Regulierungen, wie in Europa etwa durch den Digital Services Act, konfrontiert, sowie mit diversen Strafen wegen Datenschutzverstößen rund um ihr personalisiertes Werbemodell. Dieses droht in Europa ohnedies vor dem Aus zu stehen.
Amazon hat sich bei Alexa verspekuliert
Mit den Stellenkürzungen sind Twitter und Meta jedoch nicht allein. Auch der Online-Versandhändler Amazon hat 2022 mit der Streichung von 10.000 Jobs begonnen. Bei 1,5 Millionen Beschäftigten ist das freilich nur ein kleiner Teil, aber der Stellenabbau soll 2023 fortgesetzt werden. Die meisten Jobs fallen in der Sparte rund um die smarten Lautsprecher Echo sowie die digitale Sprachassistentin Alexa weg. Amazon hatte sich bei der Einführung dieser Technologien und Produkte erhofft, dass Menschen künftig per Sprache Kaufbefehle an Amazon schicken würden, stattdessen nutzen diese die smarte Assistentin hauptsächlich für einfache Fragen, wie etwa nach dem Wetter. Damit lässt sich allerdings nichts verdienen. Ehemalige Mitarbeiter*innen beschreiben Alexa als "kolossalen Misserfolg".
Doch auch die Rezession und Inflation machen Amazon freilich zu schaffen. Die Umsatzprognosen für das normalerweise starke Weihnachtsquartal haben sich in Grenzen gehalten. Doch richtig jammern darf auch Amazon nicht, denn auch der Konzern fährt noch Milliardengewinne ein. Auch das Cloud-Geschäft läuft noch, wenn auch gerade nicht mehr ganz so gut wie davor. Neben Stellenstreichungen setzte Amazon zudem auf eine Erhöhung der Gebühren für die Prime-Mitgliedschaft.
Bei YouTube brachen die Krypto-Werbekunden weg
Auch die Google-Mutter Alphabet bekam dieses Jahr, ähnlich wie Meta, die Sparsamkeit der Werbekunden zu spüren. Vor alle bei der Videoplattform YouTube hatte diese konkrete Auswirkungen. Anzeigen für Kredite und für Kryptowährungen, die dort gern geschaltet wurden, blieben aus, womit der operative Gewinn im dritten Quartal von knapp 23 auf 19,8 Milliarden US-Dollar sank. Bei Alphabet will man deshalb für 4K-Videos Geld verlangen und man denkt über weitere Wege nach, wieder an mehr Einnahmen zu gelangen. Ohne die Werbeerlöse bricht nämlich auch bei Google das größte Geschäft weg. Zwar gehören auch die Robo-Auto-Sparte Waymo und der Drohnenlieferdienst Wing zum Konzern, doch diese schreiben noch milliardenhohe Verluste.
Microsoft setzt jetzt auch auf Werbung
Beim US-Riesen Microsoft spielen Werbegeschäfte zwar weniger eine Rolle, dafür aber die Inflation. Es wurden weniger PCs verkauft und damit gab es auch weniger Neuinstallationen de Windows-Betriebssystems. Weil andere wie z.B. Google bei seinen Chromebooks damit erfolgreich sind, will nun auch Microsoft PC-User*innen die Hardware billiger verkaufen, wenn sie dafür in Folge Werbung in Kauf nehmen.
Positiv für die Microsoft-Bilanz war, dass die Erlöse im Cloud-Geschäft anstiegen. Vor allem bei Microsoft Azure waren dieses Jahr stark am Wachsen (um 35 Prozent), allerdings nicht ganz so, wie man ursprünglich erwartet hatte (40 Prozent). Damit blieb auch Microsoft dieses Jahr hinter den Erwartungen zurück. Ankündigungen zu einem Stellenabbau gab es bisher keine.
Auch das Abklingen der Pandemie spielt eine Rolle
Die Tech-Branche befindet sich also als Gesamtes in einer Krise. Oberflächlich betrachtet könnte man meinen, dass die wirtschaftliche Rezession einfach, neben zahlreichen, anderen Branchen, auch diese Branche trifft und die hohe Inflation ihr Weiteres beiträgt, dass auch hier die Nachfrage nach digitalen Produkten und Online-Werbung zurückgeht. Doch das ist nicht alles.
Dank der Corona-Pandemie und dem verstärkten Home-Office hat sich während der vergangenen drei Jahre viel mehr online abgespielt als davor. Es gab einen Boom bei virtuellen Meetings, es wurde online kommuniziert, es wurden zahlreiche Serien gestreamt und Produkte online erworben. Doch das Kauf- und Konsumverhalten vieler Menschen hat sich mittlerweile wieder verschoben - zugunsten der Offline-Welt. Das Interesse an digitalen Produkten und Kommunikationsformen ist im Vergleich zu den letzten beiden Jahren wieder etwas gesunken. Das Leben spielt sich wieder mehr draußen ab, das Interesse an digitalen Tools sinkt.
Steht die Tech-Branche vor einer neuen Stufe?
Doch selbst das ist noch nicht alles: Die Tech-Branche, die in den letzten Jahren viele Innovationen hervorgebracht hat, ist gerade dabei, sich neu zu erfinden, doch die Zukunftsinvestitionen zahlen sich noch nicht aus. Seien es die selbstfahrenden Robo-Autos, die virtuelle Realität und das Metaverse, oder Entwicklungen rund um Künstliche Intelligenz (KI): Es wird an verschiedenen Stellen an Innovationen gearbeitet, die sich allerdings noch nicht rechnen.
Es könnte also sein, dass 2022 in zehn Jahren rückwirkend betrachtet gar nicht als Krisenjahr betrachtet werden muss, sondern als Jahr des Umbruchs. Als das Jahr, in dem der Grundstein für neue, technologische Entwicklungen gelegt wurde, sich dieser aber schlichtweg noch nicht ausgezahlt hat.
Der zweite Aspekt ist jener, dass die Tech-Branche in den vergangenen Jahren exorbitant hohe Gewinne eingefahren und ein gigantisches Wachstum hingelegt hat. Das jetzige - noch immer stetige - Wachstum des Kerngeschäfts weist noch immer satte Gewinne auf. Vielleicht haben sich die Konzerne also lediglich etwas „gesundgeschrumpft“. Es ist außerdem auch für Demokratien äußerst wünschenswert, wenn sich die Macht nicht mehr rund um einige, wenige große Tech-Konzerne im Besitz von Milliardären dreht.
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