Air Force testet erstmals neue Luft-Boden-Rakete mit 300 km Reichweite
Die US Air Force hat zum ersten Mal erfolgreich die Stand-In Attack Weapon (SiAW) getestet. Dabei handelte es sich um einen sogenannten Release-Test.
Die nicht scharfe Rakete wurde von einer F-16 über dem Golf von Mexiko abgeworfen. Ziel des Tests war herauszufinden, ob sich die SiAW erfolgreich und sicher von ihrer Aufhängung löst. Erst wenn das gewährleistet ist, können weitere Tests stattfinden, bei denen das Triebwerk gezündet wird und schlussendlich Ziele mit einer scharfen SiAW mit Gefechtskopf beschossen werden.
Kompakte Rakete mit großer Reichweite
Die SiAW ist eine Luft-Boden-Rakete. Sie soll die Reichweite einer Cruise Missile haben, aber kompakt genug sein, um in den internen Waffenschacht der F-35A und F-35C zu passen.
Ein Marschflugkörper müsste, aufgrund seiner Größe, unter den Flügen transportiert werden, was den Radarquerschnitt vergrößert. Das wirkt sich negativ auf die Tarnkappeneigenschaften der F-35 aus: Sie kann leichter vom Radar des Feindes erfasst werden.
➤ Mehr lesen: F-35 erstmals mit Stealth-Rakete AGM-158C gezeigt
Genaue Daten zur SiAW sind noch geheim. Das betrifft die maximale Reichweite, Art des Suchkopfs und Gefechtskopfs und die Geschwindigkeit. Im Grunde handelt es sich bei SiAW aber um eine aufgerüstete Variante der AGM-88G (AARGM-ER), die gerade für die US Navy und deren F-35C entwickelt wird. Diese soll in der finalen Ausführung eine Reichweite von 300 km haben.
Rakete steuert das feindliche Radarsignal an
Die AARGM-ER wiederum ist die Weiterentwicklung der AGM-88E (AARGM). Bei der AGM-88er-Reihe handelt es sich um Luft-Boden-Raketen mit einem Radarsuchkopf. Sie steuern das Radarsignal an, das von der Luftabwehr am Boden ausgeht. Die AGM-88E wurde 2015 gegen ein Schiff-Ziel erfolgreich getestet. Damit wurde gezeigt, dass sie auch bewegliche Ziele treffen kann.
➤ Mehr lesen: „Cruise Missile der Zukunft“: F-35 bekommt Mini-Marschflugkörper
Die 88E und 88G haben im Unterschied zu älteren Varianten zusätzlich GPS und Trägheitsnavigation sowie ein aktives Millimeterwellen-Radar. Dadurch werden die Ziele auch getroffen, wenn sie ihr Radar ausschalten, in der Hoffnung, dass die Antiradar-Rakete dadurch ihr Ziel aus den Augen verliert.
Außerdem gibt es eine Datenverbindung. Die Rakete kann damit Bilder vor dem Einschlag übertragen. Es ist zudem möglich, ihr im Flug ein neues Ziel zuzuweisen.
SiAW soll zeitkritische Bodenziele zerstören
Damit haben die 88E und 88G bereits die Voraussetzungen, um prinzipiell Bodenziele angreifen zu können, die keine Radarstrahlung abgeben. Dennoch sind sie hauptsächlich zur Zerstörung der Luftabwehr vorgesehen.
Die SiAW behält ihre Antiradar-Eigenschaften, wird aber mehr Fähigkeiten zum Angriff von Bodenzielen haben. Im März sagte die Air Force, die Ziele der SiAW inkludieren: „Startfahrzeuge für ballistische Raketen, Raketenartillerie, Startfahrzeuge für Antischiffraketen, Jammer, Anti-Satellitensysteme und integrierte Luftverteidigungssysteme.“
Diese Auflistung verrät, warum SiAW für die Bekämpfung von „zeitkritischen Zielen“ vorgesehen ist. In einem Kriegsszenario sind die oben genannten Ziele mobil, bzw. semi-mobil. Sie fahren zum Einsatzort, starten dort ihre Raketen und ziehen sich dann wieder zurück. Oder im Falle der Jammer: Sie können kurzfristig zum Einsatzort gebracht werden. In einem Gebiet, in dem es am Vortag oder sogar vor wenigen Stunden noch keine Probleme gab, sind jetzt GPS- und Funksignale gestört, um Lenkwaffen, Schiffe und Flugzeuge zu behindern.
➤ Mehr lesen: Wie GPS-Jamming den Flugverkehr in Europa stört
Weil diese Ziele schnell auftauchen und auch wieder verschwinden können, müssen sie genauso schnell bekämpft werden. Eine F-35 könnte bei einem Patrouillenflug mit mehreren SiAW bereits in der Luft sein, weil sie zur zukünftigen Standardbewaffnung gehören. Eine Cruise Missile müsste hingegen vor dem Start unter den Flügeln angebracht werden, weil sie, eben wegen der Vergrößerung des Radarquerschnitts und des zusätzlichen Treibstoffverbrauchs, nicht zur Standardbewaffnung gehört. Bis der Marschflugkörper angebracht und die F-35 startbereit ist, hat das Ziel seine Antischiffraketen oder ballistischen Raketen womöglich schon abgefeuert.
Für den Einsatz in China
Diese Eigenschaften machen SiAW für einen möglichen Konflikt mit China wertvoll. Falls China seine Drohung wahrmacht und Taiwan angreift, könnten die USA Taiwan beistehen. Ein Krieg im Bereich des Chinesischen Meers ist die mögliche Folge.
China hat ein umfangreiches Radarnetzwerk und Flugabwehr in der Form von Schiffen, Langstreckenraketen am Festland und Luftabwehranlagen auf seinen künstlichen Inseln. Außerdem hat China etliche Varianten von mobilen Startern, die am Festland und auf Inseln ballistische Raketen, Boden-Luft-Raketen und Antischiffraketen abfeuern können.
➤ Mehr lesen: China nutzt Militärbasis auf künstlicher Insel für schnelle Seerettung
Einsatz in der Ukraine eher unwahrscheinlich
Die Ukraine könnte ebenfalls von diesen kompakten Raketen mit hoher Reichweite profitieren, um russische Luftabwehr und Artillerie aus einer einigermaßen Sicherung Entfernung zu bekämpfen. Allerdings wäre die SiAW aus heutiger Sicht „übermotorisiert“.
Die Ukraine hat zwar mittlerweile auch F-16 Kampfjets, die vermutlich für die Nutzung von SiAW aufgerüstet werden könnten: Um aber das Meiste aus der Luft-Boden-Rakete herauszuholen, braucht es mehr Technologie und eine militärische Kommunikationsinfrastruktur in einer Form, die die Ukraine nicht besitzt.
Zudem wird SiAW vermutlich teuer sein und die USA benötigen sie eben gegen China. Außerdem wird die Entwicklung der SiAW vermutlich noch einige Jahre benötigen. Bis sie einsatzbereit ist, könnte sich die Situation in der Ukraine verändert haben.
➤ Mehr lesen: Mirage 2000 für die Ukraine: Das kann der französische Kampfjet
AGM-88 HARM bisher wenig erfolgreich in der Ukraine
Dafür hat die USA der Ukraine schon 2022 die älteren AGM-88B HARM gegeben. Damals hat die Ukraine ihre Su-27s und MiG-29s modifiziert, um die Antiradar-Rakete abfeuern zu können. Laut den USA hätte diese Integration in die Sowjet-Maschinen mehrere Monate gedauert.
Die HARM hat unter Idealbedingungen (Abschuss aus großer Höhe) eine Reichweite bis zu 150 km. Bisher gibt es nur wenig Erfolgsmeldungen der Ukraine zum Einsatz von HARM – vermutlich, weil die Integration in die Sowjet-Jets nicht die Nutzung der vollen Fähigkeiten der Rakete zulässt. Ob die ukrainischen F-16s schon Einsätze mit der AGM-88B fliegen und ob sie dort effektiver eingesetzt werden, ist derzeit nicht bekannt.
Im November wurde bekannt, dass die USA die modernere AGM-88E an die Ukraine liefern werden. Es ist davon auszugehen, dass die primär für die F-16s vorgesehen sind. Mit diesen sollte es die Ukraine leichter haben, Treffer gegen russische Luftabwehr und Radaranlagen zu erzielen.
Kommentare