Die Snap Spectacles.

Die Snap Spectacles.

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Zu Besuch bei Snap: In Wien entsteht das KI-Wearable der Zukunft

Das Büro von Snap Inc. befindet sich ziemlich versteckt im ersten Wiener Gemeindebezirk auf 2 Etagen. Am Hauseingang gibt es nicht einmal ein Firmenschild, das darauf hinweisen würde, dass hier ein großer amerikanischer Tech-Konzern eine seiner wichtigsten Entwicklungsabteilungen betreibt. Und im Büro gibt es Räumlichkeiten, die so geheim sind, dass Journalisten nicht darüber schreiben dürfen.

Mit seiner App Snapchat ist das 2011 gegründete Unternehmen groß geworden: Damit führten sie das Story-Feature auf Social Media ein, das später von anderen Anbietern wie Instagram kopiert wurde. Bei jungen Menschen erfreut sich die App inzwischen wieder wachsender Beliebtheit - vor allem wegen ihrer "Snaps", Bilder und Videos, die nach nur einmal anschauen wieder verschwinden.

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Von lustigen Filtern und Storys zur AR-Brille

Die schnellen Snaps sind aber nur ein Teil des Geschäfts: Ein großer Schwerpunkt des Unternehmens liegt auf Augmented Reality (AR). Dass sich das Unternehmen hier eine besondere Expertise aufgebaut hat, wissen alle, die die App verwenden: Snap hat nämlich nicht nur Storys erfunden, sondern auch AR-Filter groß gemacht.

Snapchat erfand nicht nur das Story-Feature sondern machte auch lustige AR-Filter groß.

Snapchat erfand nicht nur das Story-Feature sondern machte auch lustige AR-Filter groß.

Wie das wesentlich größere Social-Media-Unternehmen Meta investiert auch Snap seit einigen Jahren stark in Hardware: Im Bereich der AR-Brillen gilt das Unternehmen sogar als Branchen-Vorreiter: 2016 stellte Snap die erste Generation der Snap Spectacles vor, die damals Videos und Fotos aufnehmen konnte.

Augmented Reality

AR (Augmented Reality) bedeutet auf Deutsch so viel wie Erweiterte Realität. Im Unterschied zu Virtual Reality (VR) sieht man die echte Umgebung dabei weiterhin, wenn man durch ein Gerät wie ein Handy oder eine Brille schaut – aber zusätzlich werden virtuelle Elemente eingeblendet. Etwa kann man damit ein virtuelles Sofa zum Anschauen im eigenen Wohnzimmer platzieren.

Wichtigstes Software-Labor in Wien

Das weltweit wichtigste Labor für die Softwareentwicklung der Snap Spectacles ist in Wien. “Snap hat Ende 2019 eine Firma in Wien namens DAQRI übernommen, die AR-Geräte für die Industrie hergestellt hat. Das ist der Grund, warum wir hier sind”, erklärt Daniel Wagner. Er ist Chef der Software-Entwicklung für die Snap Spectacles. 

Manche Branchenkenner setzen große Zukunftshoffnungen in AR-Brillen. Sie sagen, dass solche Wearables dank Künstlicher Intelligenz den lang ersehnten Durchbruch schaffen könnten, nachdem das bisher nicht gelungen ist.

Während Meta erste KI-Brillen mit Audio-Unterstützung am Markt hat, gelten die Snap Spectacles als eine der wenigen Brillen, die schon jetzt überzeugend visuelle Informationen ins Sichtfeld einblenden kann. Derzeit sind die Geräte in erster Linie für Entwickler gedacht. Laut Wagner sei das eine bewusste Entscheidung gewesen: “So wird das System angestartet, damit Inhalte da sind. Wir können ja nicht mit einer Consumer-Version rauskommen und dann kann man damit nichts machen”, erklärt er.

Die Meta Quest sei etwa erfolgreich gewesen, weil Meta anfangs viele Anwendungen dafür entwickeln ließ. Microsofts HoloLens sei hingegen wegen der fehlenden Inhalte zum Misserfolg geworden.

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Die Teams in Wien arbeiten gerade an der Software der nächsten Spectacles-Generation. 2026 soll die leichtere Brille mit verändertem Formfaktor das derzeitige Modell ablösen. Die Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren. Das Gerät mit Snap OS 2.0, der gerade angekündigten, neuen Version des Betriebssystems, ausgestattet sein.

Testbetrieb der neuen Funktionen

Ich habe die neuen Funktionen von Snap OS 2.0 beim Besuch im Wiener Snap-Büro auf der Brille bereits ausprobiert. Vorweg: Die Welt durch eine solche Brille anzuschauen ist schon um einiges angenehmer als mit einer wesentlich klobigeren VR-Brille. Außerdem ist mir auch bei längerer Verwendung nicht schwindelig geworden.

Vor dem Aufsetzen der Spectacles wird der Abstand zwischen den Augen ausgemessen.

Vor dem Aufsetzen der Spectacles wird der Abstand zwischen den Augen ausgemessen.

Bevor man die Snap Spectacles aufsetzt, wird der Abstand zwischen den Augen ausgemessen und via gekoppelter Smartphone-App gespeichert. Kurzsichtige können noch Linsen mit passender Sehstärke einsetzen.

Einmal am Kopf muss man noch ein paar Einstellungen vornehmen - etwa ob man will, dass sich das Brillen-Display bei Änderungen der Lichtverhältnisse automatisch anpasst. Das hat überraschend gut funktioniert. Navigiert wird mit Handgesten und in der Umgebung eingeblendeten Buttons, die man zwischen Daumen und Zeigefinger zusammengedrückt.

Optische Linsen können in die Snap Spectacles eingefügt werden.

Optische Linsen können in die Snap Spectacles eingefügt werden.

Für die Snap Spectacles gibt es schon eine Reihe von AR-Programmen, wie Spiele und nützliche Alltagsanwendungen. Verschiedene Entwickler-Studios basteln bereits seit einiger Zeit an diesen Apps, die Snap selbst Lenses nennt. 

Klavier- und Zeichenunterricht

Darunter sind einige Lern-Apps: Im Wiener Büro von Snap habe ich damit zum Beispiel Klavierunterricht genommen. Während ich am echten Klavier saß, blendete mir die Brille die Tasten, die ich drücken muss, am Bildschirm ein. Auch als Zeichenlehrer war die Brille nützlich: Die Spectacles haben mir auf einem Blatt Papier die Striche eingeblendet, die ich machen muss.

Wenn mehrere Menschen Spectacles aufhaben, kann man sogar gemeinsam Dinge in AR machen. Ich habe etwa zusammen mit einem Mitarbeiter von Snap das Büro als 3D-Leinwand zum Malen verwendet. 

Jana Unterrainer testete die Snap Spectacles für die futurezone im Wiener Büro.

Ich habe im Wiener Büro eine Reihe von Programmen ausprobiert: Darunter eines, indem man den gesamten menschlichen Körper in 3D erkunden kann und eines zum gemeinschaftlichen Malen.

Unbedingt ausprobieren wollte ich ein Kochprogramm, das einzelne Schritte in der Küche anleitet und Rezepte auf Basis von durch die Brille betrachteten Zutaten erstellen kann. Diese Funktion zeigte leider noch einige der derzeit bestehenden Hürden bei solchen Programmen auf: Die KI-Bilderkennung hat die Lebensmittel am Tisch nicht richtig erkannt. Eine Packung Haferflocken hielt die KI für Reis und einen Apfel verwechselte sie mit einer Zwiebel. 

Auch beim neuen Übersetzungs-Feature zeigten sich KI-Probleme. Vom Grundgedanken her ist die Funktion sehr vielversprechend: Man steht einer echten Person gegenüber, die eine andere Sprache spricht - wie Englisch oder Spanisch. Unter dem Gesicht der Person blendet die Brille den übersetzten Text ein - ganz so wie Untertitel in einem Film. Im Schnelltest stimmte die Übersetzung nicht immer. Das dürfte weniger an der Brille selbst liegen als an der KI-Spracherkennung.

Der übersetzte Text erscheint in Form von Untertiteln unter der sprechenden Person.

Der übersetzte Text erscheint in Form von Untertiteln unter der sprechenden Person.

AR-Expertise in Österreich

Die Teams im Wiener Büro von Snap beschäftigen sich ausschließlich mit den Spectacles. Die meisten Mitarbeiter sind Experten für Machine Learning und Computer Vision - sie befähigen die Brille also dazu, dass sie mit KI Objekte in der echten Umgebung erkennen kann.

Ungewöhnlich ist, dass ein amerikanischer Konzern seine Software-Entwicklung ausgerechnet in Österreich angesiedelt hat. Laut Wagner hat sich das nicht rein zufällig ergeben: Hierzulande gebe es nämlich viel Expertise im Bereich der Forschung zu AR. “Das liegt auch daran, dass Österreich hier viel Forschungsgeld reingesteckt hat. Viele unserer Mitarbeiter haben Robotik oder Informatik studiert und dadurch sehr guten Kontakt zu den diversen Uni-Gruppen in Österreich.” Die Verflechtungen mit der Forschungscommunity seien so eng, dass Snap an der TU Graz sogar eine eigene Professur finanziert. 

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Wien habe außerdem noch einen weiteren, etwas ungewöhnlichen Vorteil gegenüber anderen Standorten: Die Mitarbeiter ziehen offenbar nicht gerne weg. “Die Österreicher sind im Vergleich zu den Amerikanern viel weniger mobil. Wir haben eigentlich relativ wenig Konkurrenz, weil es nicht viele Unternehmen im Bereich AR gibt” erklärt Wagner. Anders sei das etwa in der Schweiz, wo sich um die ETH Zürich zahlreiche Tech-Unternehmen wie Google und Microsoft angesiedelt hätten, die sich gegenseitig ständig Mitarbeiter abwerben.

2026: Erste Spectacles für Allgemeinheit

Die neue Generation der Snap Spectacles soll kommendes Jahr präsentiert werden. Während die aktuelle Brille mit 226 Gramm kein Fliegengewicht ist, soll die nächste Generation wesentlich leichter werden und die Akkulaufzeit von 45 Minuten übertreffen. 

“Nächstes Jahr kommt die erste Consumer-Version raus. Uns ist natürlich klar, dass das nicht sofort ein Massenprodukt wird”, erklärt Wagner. Auch beim Handy habe es einige Jahre gebaucht, bis es eine breite Nutzerbasis erreichen konnte. “Ähnlich wird es bei den AR-Brillen sein, die am Anfang einmal mehr etwas für Enthusiasten sein werden oder für Menschen, die sie zum Arbeiten verwenden.” Die darauffolgende Generation soll dann eine noch größere Zielgruppe ansprechen, meint Wagner. 

Fraglich bleibt, ob dem Unternehmen Snap der doch etwas radikale Zielgruppen-Wechsel gelingt: Das Unternehmen wurde als Spaß-und Unterhaltungs-Plattform groß und will als Marke nun auch seriöse Berufstätige ansprechen. Hier wird das Unternehmen marketingtechnische Überzeugungsarbeit leisten müssen, damit dieser Imagewandel gelingt. 

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Jana Unterrainer

Überall werden heute Daten verarbeitet, Sensoren gibt es sogar in Arktis und Tiefsee. Die Welt hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Das interessiert mich besonders, mit KI und Robotik steigt die Bedeutung weiter enorm.

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Jana Unterrainer

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