KI-Brillen wie diese von Halliday sind im Grunde Augmented-Reality-Brillen mit neuen Funktionen.
Warum smarte Brillen jetzt wirklich vor dem Durchbruch stehen könnten
Auf den ersten Blick wirkt an der Frau nichts ungewöhnlich. Nur die klobige Brille fällt auf. „Welches Restaurant empfiehlst du und wie komme ich dorthin?“, fragt sie in einem scheinbaren Selbstgespräch. Im nächsten Moment kennt sie den Weg. Möglich macht das ihre Brille, die einen KI-Sprachassistenten integriert hat.
Das Gerät hat aber noch viel mehr Funktionen: Die smarte Brille kann Videos und Fotos aufzeichnen und überträgt diese anschließend ans Smartphone. Die Aufnahme geschieht relativ diskret, man sieht nur kurz ein Licht aufleuchten. Auch zum Übersetzen – zum Beispiel einer Speisekarte – kann man eine solche Brille nutzen. Dazu genügt es, die Karte durch die Brille anzusehen. Ein KI-Programm erledigt den Rest.
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Experten: Brillen werden uns begeistern
Bei den Geräten handelt es sich um sogenannte Augmented-Reality-Brillen (AR). Augmented Reality lässt sich am ehesten mit „erweiterter Realität“ übersetzen. Einerseits hört und sieht man damit die echte Umgebung, andererseits erhält man auch akustische oder visuelle Zusatzinfos. Bei Virtual Reality (VR) hingegen taucht man komplett in eine künstliche Umgebung ein, die Realität wird komplett ausgeblendet.
Noch sieht man AR-Brillen selten, aber laut Experten soll sich das bald ändern. Mit der „Google Glass“ gab es eigentlich schon 2012 eine AR-Brille am Markt, die jedoch als Flop in die Geschichte des IT-Konzerns einging. Nun erleben die Brillen eine Art Comeback in neuem Gewand – als Smartglasses oder KI-Brillen. Dank neuer Funktionen und einem flotteren Aussehen sollen sie jetzt den Durchbruch schaffen.
Die eingestellte Google Glass soll in neuem Gewand eine Art Comeback feiern.
© REUTERS/INTS KALNINS
Smarte Brillen wie die Oakley HSTN von Meta sind eine Art Verlängerung für das Smartphone. Mit der neuen Meta-Brille kann man Videos und Fotos aufnehmen, die dann auf dem Smartphone aufrufbar sind.
© Meta
„Ich glaube, wenn Sie in Zukunft keine Brille mit KI haben – bzw. keine Möglichkeit, mit KI zu interagieren –, werden Sie im Vergleich zu anderen Menschen wahrscheinlich einen ziemlich großen kognitiven Nachteil haben“, meinte etwa der Meta-Chef Mark Zuckerberg
Ohne eine derartige Brille werde man künftig einen „signifikanten Nachteil“ haben, meinte etwa der Meta-Chef Mark Zuckerberg kürzlich im Juli bei einer Präsentation für Investoren. Er ist in dieser Frage allerdings etwas befangen, da sein Unternehmen selbst solche Brillen verkauft. Aber auch das Marktforschungsinstitut Gartner schätzt, dass das Wachstum bei smarten Brillen – zusammen mit Ringen und aufklebbaren Sensorgeräten – andere Wearables wie Kopfhörer oder Smartwatches übertreffen wird. Der Marktanteil dieser Produkte soll in den kommenden 5 Jahren von derzeit nur 2 auf 15 Prozent wachsen.
„Augmented-Reality-Brillen werden sich vermutlich stärker verbreiten als Virtual-Reality-Brillen. Bereits 2027 oder 2028 werden relativ kleine, leichte Brillen mit guten Displays rauskommen“, sagt auch der Informatiker Hannes Kaufmann von der TU Wien im Gespräch mit dem KURIER.
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Klobige VR-Brillen ohne Style-Faktor
Während die größeren und klobigeren VR-Brillen laut Gartner am Markt auch wegen dem Mangel an Komfort, mangelnden Inhalten und Funktionseinschränkungen gescheitert sind, sollen die neuen Brillen bald zum stylishen Modeaccessoire werden. „Je besser und weniger seltsam das aussieht, desto mehr Leute werden das auch tragen“, meint Kaufmann.
„Die Herausforderung ist, die ganze Technologie in einem kleinen Gerät unterzubringen“, sagt der Forscher. Experten hätten herausgefunden, dass eine Brille nicht mehr als 50 Gramm wiegen darf, damit Menschen sie tragen wollen. Das würde langsam technisch möglich werden.
Meta-Chef Mark Zuckerberg mit der "Quest 3": Entgegen vieler Erwartungen fristen klobige VR-Brillen bis heute nur ein Nischendasein.
© Instagram/Mark Zuckerberg
Gartner sagt, dass auch bei den AR-Brillen die „Weiterentwicklung des Formfaktors“ die größte Hürde sei. Eine reibungslose Funktionalität sei zwar auch wichtig, diese „darf aber nicht auf Kosten des Komforts, der Ästhetik oder eines modischen Designs gehen.“ Das heißt: Damit die Brillen getragen werden, müssen sie zu Must-Haves bzw. Modeaccessoires werden, ähnlich wie die Apple AirPods.
„Die Challenge ist, die ganze Technologie in einem kleinen Gerät unterzubringen. Wir verwenden an der TU Wien etwa Brillen wie die Snap Spectacles, die momentan bei 200 bis 250 Gramm wiegt“, sagt Kaufmann. „Je angenehmer und weniger seltsam das aussieht, desto mehr Leute werden das auch nehmen.“
Tech-Trendsetter die Gestelle bereits
Das bekannteste Modell am Markt ist aktuell die Ray-Ban von Meta um 409 Euro. Die Brille hat 2 integrierte Kameras und Audio-Funktionen. Man kann damit Videos aufzeichnen, telefonieren, Musik hören oder mit einem KI-Agenten sprechen. Via Bluetooth kann man sie mit dem Smartphone verbinden und entweder durch Berührungen oder Sprache steuern.
Der Akku hält bis zu 4 Stunden und kann in einem eigenen Lade-Etui aufgeladen werden. Die speziellen Open-Ear-Lautsprecher erlauben es, ohne Kopfhörer Musik zu hören oder zu telefonieren. Die Übertragung vom Handy erfolgt über Bluetooth.
Heuer präsentierte Meta gemeinsam mit der Kultbrillenmarke Oakley ein weiteres Modell. Diese Brille ist etwas teurer, dafür sind aber die Kameras besser und der Akku hält länger. Oakley steht außerdem für Sportlichkeit und Abenteuer und soll Meta ein cooleres Image verleihen. Neben Meta entwickeln auch andere Tech-Konzerne, wie Samsung und Xiaomi, ähnliche Brillen.
Die teurere Brille, die ab 439 Euro erhältlich ist, kommt mit mehr Funktionen: Etwa macht sie Fotos mit einer 12-Megapixel-Kamera und filmt in 3K-Qualität. Mit bis zu 8 Stunden hält der Akku außerdem doppelt so lang. Die Linse, die die Augen auch vor UV-Strahlung schützt, stammt von Oakley.
Auch andere Tech-Konzerne haben bereits erste KI-Brillenmodelle vorgestellt. Google präsentierte heuer viele Jahre nach dem Google-Glass-Desaster den Prototypen seiner Android-XR-Glasses auf seiner Entwicklerkonferenz I/O 2025. Die Brille soll ähnliche Funktionsumfang wie die Ray-Ban von Meta haben und wird derzeit in der Beta-Phase getestet. Der chinesische Tech-Konzern Xiaomi startete in China kürzlich den Verkauf seiner ersten KI-Brille namens Xiaomi AI Glasses.
Künftige Modelle werden Display-Linsen haben
Laut Gartner sind die derzeitigen Audio-KI-Brillen allerdings nur ein „Übergangsprodukt“. Mittelfristig werden wir mehr Brillen mit integrierten Displays und visuellen Infos sehen. „Damit können wir dann durch die Straße gehen, bekommen Werbung und hoffentlich auch sinnvolle Anwendungen eingeblendet: Navigationsanleitungen, aktuelle Nachrichten zur Gegend, in der ich mich aufhalte und Zusatzinfos, etwa touristische Hinweise zum Stephansdom“, meint Kaufmann.
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Aufmerksamkeit erregten etwa die AR-Brillen von Snap, die 3-D-Bilder erzeugen können. Dank KI und dem Erfassen der Umgebung mittels Kameras kann die „Snap Spectacles“ virtuelle Elemente über der echten Umgebung einblenden. „Wir sehen etwa in Lernanwendungen ein großes Potenzial“, meint eine Sprecherin von Snap für die DACH-Region: „Man kann damit etwa lernen, wie man in der Küche komplizierte Rezepte kocht oder Klavierunterricht nehmen.“ Auch von Start-ups gibt es erste Brillen-Modelle mit Displays und visuellen Einblendungen.
Die Brillen von Snap bieten neben zahlreichen Spielen auch Arbeits- und Lernanwendungen. Genannt werden die AR-Programme "Lenses".
© Snap
Updates für die Brille, die man aktuell nur mieten, aber nicht kaufen kann, wird es im Herbst geben. 2026 will Snap ein neues Modell vorstellen. Während die Brillen mit 226 g noch recht schwer sind, soll die nächste Generation leichter werden, auch der Akku soll länger halten als die momentanen 45 Minuten.
Erste Produkte mit Display gibt es auch schon von Start-ups, etwa Halliday aus den USA. Den 35-g-schweren Prototypen ihrer Brille mit transparentem Display präsentierten das Jungunternehmen erstmals bei der Innovationsmesse CES 2025 in Las Vegas. Mit ihrer Indiegogo-Kampagne konnte das Unternehmen für die Herstellung ihrer Prototypen mit 3,4 Mio. Euro bereits eine Rekordsumme einsammeln und Tausende von dem Produkt überzeugen. Der Preis startet bei 499 Dollar (rund 433 Euro).
Ein weiteres Start-up, das bereits ähnliche Brillen am Markt hat, ist das Berliner Start-up Even Realities, dessen Brillen ab 699 Euro erhältlich sind und die neben akustischen auch visuelle Informationen anzeigen können.
Erste Hersteller wie Halliday arbeiten auch mit visuellen Infos, die auf der Brille angezeigt werden.
© Halliday
Viele Zeichen deuten derzeit darauf hin, dass wir Smartglasses mit Augmented Reality künftig öfter sehen werden. Laufende Hinweise im Sichtfeld, Live-Übersetzungen oder die nahtlose Einbindung von KI-Assistenz in den Alltag wären dann keine Science-Fiction mehr, sondern Realität.
Debatten stehen noch an
Trotz spannender Möglichkeiten drängen sich auch Fragen auf – etwa in bezüglich Privatsphäre. Während ein Handy sichtbar gezückt wird, kann eine Brille relativ unbemerkt Fotos oder Videos aufnehmen. Das war übrigens auch ein Grund, warum Google Glass nicht gut ankam: Die Träger wurden teilweise als „Glassholes“ (Ein Kofferwort aus Glass und Asshole) bezeichnet, weil sie heimlich andere Menschen filmten. Es wird also auch im Zusammenhang mit den neuen KI-Brillen unweigerlich Diskussionen geben – und ob die Technologie dann tatsächlich von der großen Masse akzeptiert wird, muss sich erst zeigen.
Außerdem gibt es auch andere Ideen für Geräte, die den Alltag von KI in unserem Alltag vereinfachen sollen. Der frühere Apple-Designchef Jony Ive entwickelt etwa zusammen mit OpenAI ein neuartiges Kommunikationsgerät, das sich von bisherigen Wearables stark unterscheiden soll. Details über Form und Funktionen wurden allerdings noch nicht verraten. Frühestens 2026 soll das Gerät vorgestellt werden.
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