Warum die NASA Boeings Starliner braucht
Boeings Starliner ist erfolgreich gestartet und bringt erstmals Astronaut*innen ins All. Der Konzern hat diesen Erfolg gerade bitternötig, denn wo man hinsieht, bröckelt es beim Unternehmen. Doch die große Feierstimmung wird trotzdem nicht aufkommen. Höchstens die Erleichterung, dass man den Start endlich über die Bühne gebracht hat. Die Konkurrenz bei SpaceX wird darüber nur müde lächeln.
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Im Wettlauf der beiden Firmen hat SpaceX eindeutig die Nase vorn. Die Krönung dessen kam am 30. Mai 2020 mit einem historischen Tag für die USA: Erstmals seit 2011 starteten wieder Menschen von amerikanischem Boden mit einem amerikanischen Raumschiff ins All. Statt mit dem traditionsreichen Unternehmen Boeing flogen die beiden Astronauten damals in der „Crew Dragon“-Kapsel von SpaceX. Eine epische Blamage für Boeing, das bereits an der Mondlandung 1969 beteiligt war.
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Milliarden-Gelder für Boeing und SpaceX
Der Wettlauf der beiden Unternehmen begann 2010. Kurz bevor ihr Space Shuttle Programm beendet wurde, beauftragte die NASA mehrere Firmen mit der Entwicklung eines neuen Raumschiffs, darunter auch Boeing. Ein Jahr später stieg SpaceX ein. Nur die Konzepte der beiden Firmen konnten sich langfristig durchsetzen, wobei die NASA deutlich mehr in Boeing investierte. Während sie insgesamt 4,82 Milliarden Dollar für die Entwicklung des Starliners erteilten, erhielt SpaceX "nur" 3,14 Milliarden. Laut Elon Musk dürfte das Unternehmen selbst Hunderte Millionen Dollar zusätzlich in die Entwicklung gesteckt haben (via CNBC).
links: © REUTERS / JOE SKIPPER
rechts: © REUTERS / Joe Skipper
Links: Crew Dragon auf Falcon 9; Rechts: Starliner auf Atlas V
Commercial Crew Program Fördergelder
Runde 1
- Sierra Nevada Corporation: 20 Millionen Dollar
- Boeing: 18 Millionen Dollar
- United Launch Alliance (Joint Venture von Boeing und Lockheed Martin): 6,7 Millionen Dollar
- Blue Origin: 3,7 Millionen Dollar
- Paragon Space Development Corporation: 1,4 Millionen
Runde 2
- Boeing: 92,3 Millionen
- Sierra Nevada Corporation: 80 Millionen
- SpaceX: 75 Millionen
- Blue Origin: 22 Millionen
Runde 3
Verträge f. Produktentwicklung
- Sierra Nevada Corporation: 10 Millionen
- Boeing: 9,993 Millionen
- SpaceX: 9,589 Millionen
Verträge für ISS-Flüge
Verzögerungen werfen Boeing zurück
2017 – also vor 7 Jahren – sollte der Erstflug der jeweiligen Raumfähren stattfinden. Wie so oft bei großen Raumfahrtprojekten konnte keiner der Auftragnehmer dieses Datum einhalten. Doch ein misslungener Testflug warf Boeing 2019 so weit zurück, dass SpaceX 2020 den symbolträchtigen ersten bemannten Flug durchführen konnte.
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Beim unbemannten Starliner-Testflug Ende 2019 hätte das Raumschiff an der ISS andocken und dann zurück zur Erde fliegen sollen. Es verfehlte aber seinen Orbit, und landete bereits 2 Tage später wieder auf der Erde. Eigentlich hätte es 8 Tage lang unterwegs sein sollen.
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Ein Timer, der rechtzeitig das Triebwerk feuern sollte, ging um 11 Stunden falsch. Ein weiteres Zündungsproblem konnte glücklicherweise während der Mission behoben werden, sonst wäre die Raumfähre zerstört worden. In einer Untersuchung der NASA wurden zunächst 61, später 80 "Empfehlungen" ausgesprochen, die Boeing angehen musste. Darunter waren Auflagen für umfangreichere Tests, das Hinzuziehen von Expert*innen und bessere Aufsicht, sowie Software- und Hardwareverbesserungen.
Erfolgreicher zweiter Versuch und noch mehr Verschiebungen
Der Test sollte 2020 wiederholt werden, tatsächlich wurde er aber erst 2022 erneut durchgeführt. 2021 war das Raumschiff schon einmal auf einer Atlas-V-Rakete zum Abflug bereit, aufgrund eines Defekts an der Docking-Station der ISS wurde der Start aber erst verschoben und dann wegen eines kaputten Antriebs am Starliner-Raumschiff abgebrochen.
Als er dann endlich starten konnte, klappte alles wie geplant. Die Starliner-Kapsel dockte erfolgreich an die ISS an. Da aber immer wieder neue Fehler gefunden wurden, verschob sich der erste Flug mit Besatzung immer wieder nach hinten. Mal funktionierte das Fallschirmsystem nicht richtig und mal war eine Kabelverbindung zu entzündlich. Auch in den vergangenen Wochen wurde der Start wegen defekten Ventilen, dann wegen eines Helium-Lecks abgebrochen und im Wochenrhythmus immer wieder verschoben.
Crew Dragon sichert ISS-Betrieb (und sieht dabei gut aus)
Während Boeing seine Probleme nicht in den Griff bekommen hat, ist das Crew Dragon-Raumschiff von SpaceX inzwischen das wichtigste Transportmittel zur ISS geworden. Zuvor flog nur Russland mit seinem Sojus-Programm zur Raumstation. Durch den Ukraine-Krieg und die zunehmend unzuverlässigen Sojus-Raumschiffe sichert SpaceX derzeit fast im Alleingang den Betrieb der internationalen Raumstation.
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Das allein dürfte für Boeing eine Schmach sein, denn SpaceX sieht dabei auch noch gut aus. Mit modernen Raumanzügen und einer durchdesignten Ausstattung ist ihr Raumschiff nicht nur funktional, sondern - zugegeben - auch cool. Boeing hingegen scheint gerade einmal das Minimum zu schaffen, mit Raumanzügen ohne jeglichen optischen Anspruch.
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Natürlich ist "Coolness" kein Qualitätsmerkmal. Aber Boeings Anzüge sehen nun mal aus wie das günstige Modell aus dem Heimwerkerkatalog und die von SpaceX wie aus Star Trek. Das vermittelt allem voran den Eindruck, dass hinter einem von beiden Vorschlägen ein durchgeplantes Gesamtkonzept steht und beim anderen irgendwie versucht wird, noch die Teilnehmerurkunde zu erhalten.
Boeing verbrennt Geld
SpaceX verlangt pro Platz in der Crew Dragon zwischen 55 und 72 Millionen Dollar (220 bis 280 Millionen Dollar pro Flug). 7 Flüge wurden bereits durchgeführt, weitere 7 sind gebucht. Ursprünglich waren nur 6 Flüge geplant, doch da Boeing zu lange braucht, mussten insgesamt 8 Flüge umgebucht werden. Seit SpaceX 2014 einen Vertrag mit der NASA unterschieben hat, ist die Summe, die an das Unternehmen fließt, dadurch auf 4,93 Milliarden Dollar gestiegen. Das beinhaltet die Entwicklungskosten und die 14 Flüge.
An Boeing gingen 5,1 Milliarden, ohne dass auch nur ein regulärer Flug absolviert wurde. Die Transportkosten pro Person liegen beim Starliner laut NASA 90 Millionen Dollar, also deutlich mehr, als SpaceX verlangt. Boeing hat zwar dieser 2019 veröffentlichten NASA-Rechnung widersprochen, aber bisher noch keine aktuellen Ticketpreise genannt.
Crew Dragon vs. Starliner CST-100
Crew Dragon
- Passagiere: bis zu 4
- Nutzlast: 3.307 kg (ISS)
- Rakete: Falcon 9
- Gebuchte Flüge zur ISS: 14
- Wiederverwendbar: 15 Mal
Starliner:
- Passagiere: bis zu 7 / 4 zur ISS
- Nutzlast: k.A.; Erstflug: 2 Personen + 344 kg Fracht
- Rakete: Atlas V
- Gebuchte Flüge zur ISS: 6
- Wiederverwendbar: 10 Mal
Darum braucht die NASA den Starliner trotzdem
Warum die NASA keinen Schlussstrich gezogen und die Entwicklung beendet hat, liegt aber auch auf der Hand. Das viele Geld ist bereits investiert und die Raumkapsel dürfte irgendwann auch einsatzbereit sein. Viel wichtiger ist aber, dass neben SpaceX nur Russland und China die Möglichkeit haben, Astronaut*innen ins All zu bringen. Zu beiden Nationen ist das Verhältnis schwierig. Zudem wurde China auf Wunsch der USA von der ISS ausgeschlossen.
Sobald die USA 2 verlässliche Raumfähren zur Verfügung haben, ist die Unabhängigkeit gesichert. Fällt eine aus, ist eine zweite verfügbar. Die Systeme nutzen verschiedene Raketen und Infrastruktur, also sind sie auch nicht voneinander abhängig. Das kommt übrigens auch Europa zugute, denn ohne eigene Raumschiffe müssen sich europäische Astronaut*innen auf Partner wie die NASA verlassen.
Ein wichtiger Schritt ist der Starliner-Start also trotz des holprigen Wegs dorthin. Nun muss der Krisen-Konzern Boeing aus dem Testflug einen Regulärbetrieb machen, um zumindest im Raumfahrtsektor Stabilität zu zeigen.
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